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Das traurige Ende von Nancy Lee, einem von Großbritanniens Ketaminopfern

K ist günstig und entspannend—so lange, bis die Droge dich komplett beherrscht und deine Organe zerstört.
Max Daly
London, GB

Nancy Lee, die nach langjährigem Ketaminmissbrauch im Alter von 23 Jahren starb.

Ketamin ist diese verrückte Droge, die deine Beine weich werden lässt. Die Droge für bekloppte Studenten, die Chill-Out-Hilfe nach dem Club, das LSD der neuen Generation. Laut John C. Lilly, dem Ketaminloch-Forscher und Delfinflüsterer der 70er Jahre, macht die Droge die Konsumenten zu „Spannern am Schlüsselloch der Unendlichkeit“. Aber der Ruf als beliebte Erholungsdroge, der aufkam, als Ketamin durch die Schwulenclub- und Free Party-Szenen nach 2000 in den Mainstream rutschte, ist nur die halbe Wahrheit über das, was jetzt in Großbritannien abgeht.

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Außer einem kurzen Absatz in den Todesanzeigen der Zeitung Brighton Argus gab es keine Berichterstattung über den Drogentod von Nancy Lee. Dieser hatte aber auch irgendwie nichts Schockierendes an sich: Sie ist nicht in der Öffentlichkeit durch eine toxische Reaktion auf eine Pille oder eine Line weißes Pulver im Club zusammengebrochen. Stattdessen ist Nancy mit 23 gestorben—der Tod kam dabei seit sieben Jahren schleichend immer näher, ihr Körper war durch den stetigen Ketaminkonsum komplett zerstört.

Mit 16 Jahren nahm Nancy zum ersten Mal Ketamin, als sie neue Freunde fand. Die meisten Teenager, die sich im örtlichen Park von Brighton zudröhnen wollten, kippten sich Cider hinter die Binde oder rauchten Skunk. Nicht jedoch Nancy und ihre Gruppe Indie-Außenseiter: Sie nahmen dort Ketamin. Es war billig (12 Gramm für knapp 115 Euro) und blendete das echte Leben aus, was für Nancy sehr wichtig war.

„Nancy war sensibel und sehr fürsorglich, aber auch eine Außenseiterin“, erzählt mir ihr Vater Jim, ein Dozent an einem College. „Sie wurde in der Schule gemobbt, weil sie stark schielte und sehr jungenhaft daherkam. Sie hatte diese Opfermentalität und ständig das Gefühl, dass die Welt gegen sie ist.“ Nancy fand Trost beim Ketamin. „Wenn jemand eine perfekte Droge für depressive Teenager ohne Geld herstellen müsste, dann wäre das Ketamin“, sagt Jim.

Nancys ältere Schwester Libby erzählte mir, dass Nancy nach dem Beginn des Drogenkonsums in einer Teenager-Welt feststeckte, aus der sie nie wieder entkam. „Als ich sie fragte, warum sie nicht einfach aufhören könne, Ketamin zu nehmen, sagte sie, dass es ihr so möglich wäre, ihrem Leben zu entfliehen“, sagt Libby. „Sie erzählte mir, dass sie es nahm, weil sie nicht sie selbst sein wollte.“

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In der Realität—außerhalb der heilen Ketamin-Welt—begann der Zerfall von Nancys Körper, denn sie nahm zwar die Droge, aß, bewegte sich oder trank aber nur noch selten. Die Folgen des schweren Drogenmissbrauchs für ihre Blase und ihren Appetit führten dazu, dass Nancy mit 21 inkontinent war, wegen Unterernährung an Herzschwäche litt und nur noch 33 Kilo wog. Ihre Nieren und ihre Blase funktionierten kaum noch. Tagsüber schlief sie, nachts ging sie dann aus und ihr Aufenthaltsort wechselte ständig. Deswegen hat niemand bemerkt, wie krank sie eigentlich war, bis Jim einschritt und sie ins Krankenhaus brachte. Dort wurde ihm gesagt, dass ihr Zustand lebensbedrohlich sei.

Nachdem Nancy, umgeben von älteren Patienten, fünf Wochen auf der urologischen Station des Krankenhauses verbracht hatte, wurde sie entlassen. Ihr wurde aber auch die Warnung mitgegeben, dass sie ihrem Körper langfristige Schäden zugefügt haben könnte. Am Ende stellte es sich als noch schlimmer heraus.

Da sie wegen ihrem schlechten Gesundheitszustand keinen Job bekam, lebte Nancy vom Krankengeld. Ab und an hatte sie noch einen Ketamin-Rückfall und war deswegen manchmal tagelang verschwunden. Anfang dieses Jahres ging es ihr scheinbar besser, aber im März fing sie sich wegen ihrer geschwächten Organe eine Niereninfektion ein und starb innerhalb einer Woche.

Wir wissen, dass Kokain, MDMA, Mephedron und LSD uns schaden und einige davon abhängig machen können, aber es scheint so, als habe keine dieser Drogen die Fähigkeit, den Körper und die Psyche der Konsumenten so kaputt zu machen, wie dies Ketamin tut. Für einige Leute ist diese Droge kein Fenster zur Seele, sondern ein Weg, um Schmerz zu lindern oder durch den Tag zu kommen—wie Heroin und Diazepam.

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Ein Haufen Ketamin. Foto: Coaster420 | Wikimedia | CC Public Domain

Ich habe mit Laura gesprochen, eine Callcenter-Managerin aus Bristol. Sie ist jetzt 32 Jahre alt und hat ihr halbes Leben lang Ketamin genommen. Sie hat 2001 damit angefangen und war auch schon an einem Punkt angelangt, an dem sie täglich 3 Gramm schnupfte. Sieben Jahre lang ging sie zur Drogensuchtberatung und zu den Narcotics Anonymous.

„Jeder, der täglich dieses Leben leben muss, tut mir sehr leid, denn es ist fast unmöglich, daraus auszubrechen. Ich kann mit Sicherheit sagen, dass ich ohne diesen 40-Stunden-Job, in den ich mich reinhänge, die ganze Zeit drauf wäre oder damit kämpfen müsste, es nicht zu sein. Ich bin zwar ‚clean‘, aber das kam automatisch, weil ich mich mit anderen Leuten abgebe und mir das Leben, die Liebe und die Arbeit jetzt wichtiger sind als Ketamin. Wenn man mir jetzt was von dem Zeug vorsetzen würde, dann würde ich es trotzdem immer noch nehmen. Die Droge ist stärker, als ich je gedacht hätte.“

Laura hat Ketamin nie in einem Club genommen, sie hat es—wie viele ihrer Freunde aus Bristol—im täglichen Leben konsumiert. „Am Anfang kann dich K ganz schön umhauen und du bist dann völlig neben der Spur. Aber nach einer Weile wird es eine tägliche Gewohnheit. Der Konsum direkt nach dem Aufstehen war kein Problem für mich, quasi wie ein Konterbier.“

„Ich kenne viele Eltern, die gerne mal etwas Ketamin nehmen, wenn ihre Kinder in der Schule sind. Nach der Arbeit war mir eine Line K lieber als ein Glas Wein. Das Leben ist anstrengend, stressig, laut und intensiv. K ist sanft, langsam, entspannend und lässt dich von Allem wegkommen. Aber eine Line wird schnell zu zwei Lines und dann steigt deine Toleranzgrenze und plötzlich bist du bei ein ein bis zwei Gramm pro Tag.“

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Sie sagte, dass Ketamin als Bewältigungsmechanismus eine Katastrophe sei: „Ich musste mit einem schlimmen Todesfall fertig werden und habe so täglich zwei bis drei Gramm konsumiert. Das hat zu einem gewissen Maß auch geholfen, es ließ mich aber eigentlich nur mein Leben und meine Gefühle vergessen. Das Problem dabei ist, dass alles noch da ist, wenn du wieder runterkommst. So spürst du dann wieder das Verlangen, dem Ganzen zu entfliehen—so entsteht der Teufelskreis.“ Bis jetzt funktionieren Lauras Organe noch.

Laura linderte ihren Ketaminkonsum durch eine gute Ernährung, Sport und Vorsicht beim Mischen mit anderen Drogen, vor allem Alkohol. Sie wusste, wie man die Risiken verringert. Der durchschnittliche Schüler wird jedoch nur eine magere Stunde über Drogen aufgeklärt, bevor er seinen Abschluss macht. Nancy hatte also niemals eine Ahnung.

Die meisten der 93 dokumentierten Todesfälle in UK (zwischen 2005 und 2013), die mit Ketamin in Verbindung gebracht werden, waren entweder unbeabsichtigte Vergiftungen (zum Beispiel beim diesjährigen Glastonbury Festival, bei einem illegalen Rave in Croydon oder beim letztjährigen Boomtown Festival) oder Unfälle. Es wurden neun Tode durch Ertrinken und drei tödliche Verkehrsunfälle aufgezeichnet, alle verursacht durch die Droge. Es gab auch neun Selbstmorde. 2011 fand man die Leiche von Adam Sephton, einem depressiven und arbeitslosen Teenager, der sich nach mehreren Monaten heftigen Ketaminkonsums auf einem Fußballfeld in Barnsley erhängte.

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Drogenberatungsstellen und Krankenhäuser sehen sich mit einer immer größer werdenden Zahl an Leuten konfrontiert, bei denen der schwere Ketaminmissbrauch ernsthafte gesundheitliche Probleme nach sich zieht. In London, Leeds und Bristol werden immer mehr Menschen an Urologen verwiesen, die an durch Ketamin verursachten Blasenproblemen leiden. Letztes Jahr hat David Gillatt, der führende Urologie-Chirurg des Vereinigten Königreichs, drei Ketaminkonsumenten die Blase entfernt.

Nancy mit ihren Freundinnen.

Er sagt, dass Ketamin mit Depressionen, Angstzuständen und Sucht in Verbindung gebracht wird—so war es auch bei Nancy. Fast ein Fünftel der Befragten des Global Drug Surveys, die angaben, 2009 Ketamin konsumiert zu haben, gaben auch zu, von der Droge abhängig zu sein.

Das andere Problem von Ketamin ist der unsoziale Charakter der Droge: Dieser führt dazu, dass die häufigen Konsumenten—vor allem die jungen—oftmals Außenseiter sind, die dann mit anderen häufigen Konsumenten abhängen. Es gibt auch keine anerkannte Behandlung für eine Ketaminsucht. Das bedeutet, dass viele häufige Konsumenten den örtlichen Drogenberatungsstellen verborgen bleiben.

Ein Mitarbeiter der Stiftung CRI in Brighton erzählte mir, dass Nancy vor ein paar Jahren zu dem Projekt stoß, um über ihre Sorgen zwecks des Ketaminkonsums zu sprechen. Ihren zweiten Termin nahm sie aber schon gar nicht mehr wahr und wurde danach dort nie wieder gesehen. Ihr Vater Jim sagt, dass Nancy psychiatrische oder medizinische Hilfe ablehnte, weil sie vor Doktorbesuchen und Krankenhäusern panische Angst hatte.

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Trotz der wachsenden Zahl von Eltern, deren Kinder durch Drogenmissbrauch umgekommen sind, unternimmt die Regierung laut Jim fast nichts, um Jugendliche über Drogen zu informieren—es gibt nur die kaum besuchte und wenig seriös wirkende Website Talk to Frank. Der Betreiber wünscht sich eine Veränderung der Drogenpolitik, die sich mehr auf Aufklärung und Fürsorge konzentriert, als auf Untätigkeit und Verteufelung.

„Ich hasse es, dass wir in einer Welt leben, in der man lieber noch die andere Wange hinhält und das ignoriert, was direkt vor unserer Haustür passiert. Brighton ist eine reiche Gegend, aber in Wahrheit ist es wie bei Brighton Rock: Hier prallen immer noch zwei Welten aufeinander. Wir müssen uns um die Leute mit Drogenproblemen kümmern und sie nicht wie Ausgestoßene behandeln. Die Regierung muss auf Experten hören, anstatt auf Boulevardzeitungen wie die Daily Mail. Verbote verursachen mehr Probleme, als sie lösen.“

Bei vielen Drogenkonsumenten ist der psychische Gesundheitszustand das wahre Problem. Es ist traurig und tragisch, dass im modernen Großbritannien einige Jugendliche auf harte Drogen wie Ketamin zurückgreifen, um mit Depressionen und dem Gefühl, nicht akzeptiert zu werden, klarzukommen.

„Ich hatte ziemliche Depressionen“, sagte Nancy mit 21 Jahren, als sie 2011 aus dem Krankenhaus entlassen wurde. „K nimmt dich mit in eine andere Welt, damit du das ganze schlechte Zeug vergisst. Aber letztendlich wird dann Ketamin zu diesem schlechten Zeug.“

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