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GAMES

Videospiele sind der größte Scheiß

Dein Lieblingshobby ist eigentlich ziemlich peinlich. Hier sind die fünf schlimmsten Dinge an der Games-Kultur.

Ich liebe Videospiele. Von der ersten Sekunde an—ich muss ungefähr fünf gewesen sein—bis heute mit beinahe 30 Jahren ist alleine der Gedanke an die theoretischen und tatsächlichen Möglichkeiten dieses allumfassenden Unterhaltungsmediums das Aufregendste und Faszinierendste, was ich mir vorstellen kann. Es ist mir immer wieder aufs Neue schier unbegreiflich, dass es Leute gibt, die das nicht sofort genauso sehen.

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Aber wie der Titel bereits verrät, hasse ich Videospiele auch. Sie frustrieren mich und folgende Dinge pissen mich an ihnen und der Kultur, die sich um sie entwickelt hat, ganz besonders an.

Fake-Geeks sind der größte Scheiß

In den letzten zehn Jahren sind plötzlich Leute aufgetaucht, die zwar gern über Games plaudern, sich Super-Mario-T-Shirts anziehen und Pixelart total toll finden, aber selbst überhaupt nicht spielen, sondern das Ganze „mehr als Lifestyle empfinden". Seit die Nerds im letzten Jahrzehnt so richtig als mainstreamtauglicher Markt ausgeschlachtet wurden und Hollywood nur noch Superhelden-Filme macht, laufen plötzlich auch gestylte Bobos mit iPad unter dem und 1-Up-Mushroom-Tattoo auf dem Arm durch die Stadt, hören schwedische Chiptune-Alben und erzählen allen in verlogener Beschämung, dass sie ja als Kind auch mal einen Game Boy gehabt haben und sich in Sheldon aus Big Bang Theory echt total wiedererkennen.

Echte Geeks sind der größte Scheiß

Das einzige, das noch viel, viel schlimmer ist, als affektierte Fake-Nerds, sind solche, die es tatsächlich ernst meinen. Der sogenannte „Gamer" ist so ziemlich das Fehlgeleitetste, das die menschliche Evolution bisher hervorgebracht hat. Manchen Leuten reicht es ja nicht, neben anderen Dingen einfach auch gerne Videospiele zu spielen, sie wollen sich als Teil einer vermeintlich unterdrückten Subkultur identifizieren und haben so gar kein Interesse daran, was sich außerhalb des Tellerrands so abspielt; ein Buch, auf dem nicht Halo oder Mass Effect steht, haben sie nämlich noch nie gelesen.

Man braucht nur eine E3-Pressekonferenz zu verfolgen, um sich vorstellen zu können, wie ein Mensch aussieht, der sich allen Ernstes zu hundert Prozent in der Zielgruppe wiederfindet, die hier angesprochen wird—nämlich wie ein elitäres, streitsüchtiges, infantiles, gewaltgeiles, misogynes, homophobes Arschloch. Wir alle waren mal jung, aber wenn du über 25 bist und dich immer noch als „Gamer", „Nerd" oder „Geek" vorstellst, dann hast du ein Problem.

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Videospieljournalismus ist der größte Scheiß

Die Leute, die am lautesten darüber heulen, dass Videospiele nicht „als Kunstform ernstgenommen" werden, sind meistens genau die, die dran schuld sind und dazu gehören auch Videospielschreiberlinge. Warum gibt es immer noch so wenig echte, gute Videospielkritik und so viele schulaufsatzmäßige Produktrezensionen für „Day One!!!" -schreiende Konsumenten am Rande der Zurechnungsfähigkeit? Bei Filmen klappt's doch auch, selbst für den dümmsten Blockbuster.

Und warum passiert es ständig, dass Videospieljournalisten PR-Jobs bei irgendwelchen Entwicklern bekommen und dann schamlos verkünden, dass das ja eigentlich schon immer ihr Traum war? Fick diese Leute. Ich will einfach nur über mein jüngstes Lieblingsspiel ein paar spannende, anregende Gedanken lesen können ohne vorhin stundenlang das Internet durchkämmen zu müssen nach einem Text, der mir nicht das Gefühl gibt beim Akt des Lesens geistig zu degenerieren.

Fun Fact: Österreich ist hier durchaus eine positive Ausnahme und sogar recht vorreiterisch unterwegs. Der Standard zeigt mit seiner Games-Redaktion, wie's gemacht wird, und dank Leuten wie Robert Glashüttner und Rainer Sigl kann ich hierzulande praktisch immer interessante Texte zur Spielelandschaft lesen.

Manche könnten jetzt einwerfen, wenn man keine Rezensionen, sondern echte Kritik lesen will, dann sollte man sich nicht an die Journalisten, sondern an die Kulturwissenschaftler wenden. Weit gefehlt:

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Game Studies sind der größte Scheiß

Seit man an der mühseligen Narratologie-vs.-Ludologie-Debatte das Interesse verloren hat, gibt es in der wissenschaftlichen Spieleforschung genau ein einziges Thema, nämlich „Soziale Interaktion in virtuellen Online-Welten am Beispiel von World of Warcraft". Eine Zeitlang war es Second Life statt World of Warcraft, aber das war's dann echt mit den Unterschieden. Gut, manchmal geht es auch um Gewalt oder Pädagogik, denn Videospiele haben bekanntlich nur dann eine Daseinsberechtigung, wenn sie die Aufgabe der Kindererziehung für uns übernehmen können. Scheinbar gibt es nur wenige Leute wie mich, die sich für die Untersuchung von Spielmechaniken, für historische Entwicklungen und Rahmenbedingungen, für Formen von Ästhetik und Erzählung interessieren—also für Spiele an sich als eigenständige, moderne kulturelle Ausdrucksform.

Dadurch, dass Spieleforscher meistens „von außen" kommen (Soziologen, Pädagogen, Literaturwissenschaftler etc.) fehlt ihnen zudem oft das Fachwissen, um wissenschaftlich arbeiten zu können—da werden Titel durcheinandergebracht, Mechaniken missverstanden, grobe Generalurteile gemacht—Fehler, die bei anderen Forschungsobjekten als unverzeihlich gelten würden, aber bei Spielen ist es ja bekanntlich wurscht.

Und warum habe ich das Gefühl, dass viele dieser Leute a priori nicht unbedingt zu den besten ihres Fachs gehören? Wenn beispielsweise ein Anglist in einem Vortrag die englischsprachigen Spieletitel nicht einmal richtig ausspricht oder eine medienwissenschaftliche Vorlesung über Formen digitalen Erzählens daraus besteht, dass man sich Zwischensequenzen aus Final Fantasy XIII ansieht und sich oberflächlich-süffisant über die Cheesiness von Fantasy- und Anime-Tropen amüsiert, dann frage ich mich schon, was Leute wie Ian Bogost oder Espen Aarseth, die wirklich was draufhaben, wohl dazu sagen würden.

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Die Spiele selbst sind der größte Scheiß von allem

Immer träume ich von dem Tag, an dem ich mich nicht mehr (zurecht) genieren muss, wenn ich einer Arbeitskollegin erzähle, dass Videospiele und das Schreiben darüber zu meinen Hobbies zählen.

Ich kann den ständigen uninspirierten Fantasy-/SciFi-/Anime-/Zombie-/Military-Scheiß ja tolerieren oder ausblenden, aber ich weiß ehrlich gesagt nicht, wie lange noch. Die Ausrede, dass Games ja noch eine so junge Kunstform seien und deshalb so infantiler, kommerzorientierter Dreck, zieht irgendwann nicht mehr. Nur zur Erinnerung: Es gibt das Medium jetzt seit über 40 Jahren. Das mythische "Citizen Kane of Gaming", das angeblich mit einem Schlag alles verändern und Videospiele als ernstzunehmende, universell akzeptierte Kunstform etablieren soll (was Kane für den Film selbstverständlich auch nicht gemacht hat), wird nicht mehr kommen.

Egal, wie groß das Publikum ist, egal, wieviel Geld Minecraft einspielt, egal, ob ein Let's-Player wie PewDiePie mehr YouTube-Subscriber hat als Justin Bieber und Rihanna zusammen, Videospiele sind immer noch größtenteils eine isolierte Parallelwelt. Versuch mal, deiner Mutter einen Xbox-360-Controller in die Hand zu geben. Und komm mir nicht mit Farmville und Candy Crush Saga. Die machen es nur noch schlimmer, indem sie Games in den grindigen Glücksspielbereich rücken.

Was wir brauchen, sind mehr Spiele, die sich mit der tatsächlichen Welt und Gesellschaft beschäftigen. Oder die zumindest nicht stumpfsinnig und peinlich sind. Natürlich gibt es die. Genauso, wie es guten Videospieljournalismus und gute Spieleforschung gibt. Aber der Punkt ist, ich will nicht mehr mit der Lupe danach suchen müssen. Ich verstehe nicht, warum ich im Jahr 2014 als erwachsener, reflektiert denkender Mensch, der gerne videospielt, zu einer Nische gehören muss.

Andreas auf Twitter: @schirmsprung