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So sieht es aus, wenn Einkaufs-Center sterben

Wir waren am letzten Tag vor der Schließung in der UNO Shopping City in Leonding und haben uns mehr als erwartet gegruselt.

Für unsere Generation, die den postapokalyptischen Einzelgänger-Emo-Horror bereits gemeinsam mit der Tschernobyl-Strahlendosis in der Muttermilch aufgesaugt hat, sind verfallende und verlassene Einkaufszentren längst nichts Besonderes mehr.

Wir kennen überwucherte Regale aus I Am Legend, ausgestorbene Straßen aus Vanilla Sky, und auch die mitschwingende Gesellschaftskritik und der Umstand, dass Shopping-Zombies gruseliger sind, als ihre nach Hirn gierenden Verwandten, ist uns spätestens seit Dawn of the Dead ins Knochenmark übergegangen.

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Trotzdem ist es etwas komplett anderes, wenn der sichere Zaun aus Zelluloid zwischen uns dem sterbenden Shopping-Center fehlt und wir einem echten Einkaufszentrum dabei zuschauen, wie es seine letzten Besucher ausspuckt und danach einfach für immer zusperrt.

Vielleicht liegt es an unserem ungebrochenen Glauben an den Kapitalismus oder dem naiven Fortschrittsgedanken, dass immer alles besser und größer, aber eigentlich nichts komplett kaputt und obsolet wird. Eventuell hängt es auch damit zusammen, dass wir bei leeren Shopping-Gängen eben schon auf Zombies konditioniert sind und uns hauptsächlich gruseln, weil wir uns schon als Protagonisten sehen, aber uns die lebesnotwendige Pumpgun fehlt.

Oder aber es liegt einfach nur daran, dass sterbende Einkaufs-Center in der freien Wildbahn (sprich: in unserem alltäglichen Umfeld) nicht besonders oft vorkommen und wir tatsächlich alle Shopping-Zombies sind, die nervös werden, wenn wir vor leeren Regalen stehen.

Egal, was der Grund ist—das Gefühl war jedenfalls da, als ich letzten Samstag die UNO Shopping City in Leonding, nahe Linz, an ihrem allerletzten Öffnungstag besuchte. Seit ich denken kann, war die „UNO City" (wie sie richtigerweise nicht heißt, aber bei uns immer genannt wurde) Teil unserer familiären Samstagsroutine, zu der auch Leberkässemmeln, Turtles-Action-Figuren und viele blank liegende Nervenenden zählten—alles Dinge, die man sich von der UNO erwarten konnte.

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Als ich dann älter war und mein Verlangen nach Action-Figuren gegen jenes nach Inländerrum tauschte, war die UNO auch noch das Portal zur Nachtschicht und damit die Schwelle zu meinen ersten halblustigen Exzessen, Go-Go-Erlebnissen am falschen Ende der Stange und noch viel mehr blank liegenden Nervenenden.

Die UNO Shopping eröffnete am 16. Oktober 1990, fast auf den Tag ein Jahr nach der gerade mal zwei Minuten entfernten Plus City, die seither wie ein Energievampir alle Kaufkraft aus dem Konkurrenten gezuzelt, und erst im Sommer mit einem Besuch von Lindsay Lohan für Aufregung (zumindest bei Lindsay Lohan) gesorgt hat. Noch 2012 hieß es, die UNO würde bis 2014 umgebaut und in neuem Licht erstrahlen. Von diesem Optimismus ist nur noch ein leises „Was, hat irgendwer irgendwas gehört?" geblieben.

Der letzte Funken Lebenssaft, dem die UNO City ihre verbleibenden Kunden verdankte, kam von Media Markt, der am vergangenen Samstag auch seinen letzten Räumungsverkauf beendete, bevor auch er ein für alle Mal zur Konkurrenz wechselt. Schon diese Woche eröffnet in der Plus City der „modernste Media Markt Europas". Ob die UNO jemals wieder öffnen wird, ist derzeit noch unklar; eine Entscheidung soll im Herbst fallen.

Während die Plus City sich also in eine Art oberösterreichisches Las Vegas verwandelt—inklusive einer kitschigen Food-Court-Version vom Marcusplatz, wo man Burger und mongolisches Barbeque essen kann—, hat die UNO Shopping von Las Vegas eigentlich nur den legeren Umgang mit Zigaretten übernommen. Ich weiß nicht, wie viele Kunden an diesem Tag aus dem Umland extra für ihr Packerl Gauloises in den toten Tempel spaziert sind, aber für diejenigen, die den Weg auf sich genommen haben, hat er sich auf jeden Fall gelohnt; immerhin gab es am Samstag auch Bücher um 1,50 Euro.

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Wenn mich nicht alles täuscht stammt die dreifarbige Neon-Unterkante an den Rolltreppen zirka aus derselben Zeit wie Pimp My Ride. Apropos Ride: Fahren konnte man auf den Rolltreppen bis zur letzten Minute, auch wenn es in den anderen Stockwerken nichts mehr zu sehen oder kaufen gab. Die Rolltreppen sind damit das UNO-Äquivalent zum Streichorchester der Titanic.

Als ich dreißig Minuten vor Shopokalypse an der Schneiderei vorbei ging, hingen noch immer einige Kleider in ihr herum. Ich fürchte, die Besitzer bekommen ihre Stücke nur noch von „zu groß" in „nicht mehr da" geändert.

Kennt ihr das unangenehme Gefühl, wenn ihr in einem viel zu klein designten Videospiel-Level plötzlich an der Grenze der Welt anstößt? Es ist fast so, als hätte man ein Recht darauf, weiter geradeaus zu gehen oder um die nächste Ecke zu sehen. Ungefähr so ging es mir mit diesem Taschen-Geschäft, neben dem sich früher (und damit in meiner Erinnerung immer noch) endlose Shopping-Schluchten aufgetan haben. Letzte Woche war davon nur noch eine weiß gestrichene Trennwand übrig. Ich verlange DURCHGANG! Oder zumindest Reduktionen —90 %!

Aber nichts von all dem konnte mich auch nur im Mindesten darauf vorbereiten, wie es im Media Markt—dem grau ausgedörrten Herz des Einkaufszentrums—selbst aussah. So viel leeren Platz kannte ich sonst nur vom Blick in die Tiefe. Was übrigens beides dasselbe Gefühl auslöst. Hätte Hitchcock 1958 in Leonding Filme gedreht, würde es in seinem Verwechslungs-Thriller Vertigo nicht um Höhenangst, sondern das Schwindelgefühl in einer Shopping-Mall gehen. Im Bild sieht man einen Verkäufer, der über seine dörrende Steppe wacht.

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Nichts sagt eher Untergang wie ein Stück unverkabelte Technik. Erst recht, wenn sie einfach so mitten im Raum steht und aussieht wie etwas, in dem man auf Pandora durch die Gegend rollt.

Als alter Sensationsreporter hätte ich mir ehrlich gesagt natürlich erhofft, auf einen schwer asthmatischen Gamer zu treffen, der spontan drei Lion-Riegel fallen lässt, weil es weder die Assassin's Creed Platinum noch IRGENDETWAS FUCKING ANDERES zu kaufen gab. Zumindest ein schwer psychotischer Angestellter, der während dem Abverkauf wegen der ganzen Leere seinen Verstand verloren hatte (so wie die Typen in Event Horizon) und nun patrouillierend die Games-Regale bewachte, wäre nett gewesen. Aber ein Teppichboden tut's natürlich auch.

Der Typ, den ihr hier links hinten im Bild seht, hatte einen Grinser in die Gesichtsmuskulatur geätzt, der ihn wie Jack Nicholsons Joker aussehen ließ, und studierte sehr lange die drei noch verfügbaren Klassik-CDs im letzten Eck des leer gehamsterten Marktes.

Noch nie hat das „Horror"-Schild mehr Wahrheit gesprochen. Keine Blu-ray—nein, nicht mal Cannibal Holocaust, Straw Dogs und Ichi The Killer zusammen—verbreitet mehr Horror als ein leeres Regal ganz ohne Blu-rays.

Um 17:30 Uhr verließ ich die UNO innerlich schreiend und äußerlich laufend—zum einen, weil es gerade zu regnen begann und zum anderen, weil man in leeren Einkaufszentren eben nie weiß, ob einen nicht eventuell doch Zombies (und wenn schon, warum dann nicht auch solche von der schnellen World War Z-Variante?) verfolgen.

Auf dem Weg aus der Parkgarage begegnete mir zu allem Überfluss auch wirklich noch ein Fußgänger, der alleine die Ausfahrt entlang spazierte und einen Laib Brot umklammert hielt. Zugegeben, es ist nicht ganz Twin Peaks, aber auch nicht weit genug davon entfernt, um nicht 10 km/h schneller als erlaubt zu fahren.

Wenn Markus nicht gerade Fotos von leeren Einkaufszentren macht, ist er auch auf Twitter: @wurstzombie