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Wie finanziert sich der Islamische Staat?

Wir haben mit einem ehemaligen Investmentbanker und Sicherheits-Experten darüber gesprochen, wo der IS eigentlich das Geld herkriegt, um den Nahen Osten zu terrorisieren.

Sind zwar nur japanisch, aber trotzdem nicht billig: Toyota-Pickups.

Vom Islamischen Staat kennt man—außer den Hinrichtungsvideos—vor allem die Bilder von den weißen Toyotas, die durch die Wüste im Irak und in Syrien heizen. Auf den Ladeflächen sitzen meist verklärt lächelnde Kämpfer, die mit ihren Maschinengewehren in die Luft schießen.

Diese Bilder machen Eindruck, vermitteln aber selten eine Vorstellung von der mittlerweile schon ziemlich komplexen Organisation, zu der sich der IS entwickelt hat. Für viel organisierte Grausamkeit braucht mal allerdings auch viel Geld. Nicht nur für die weißen Pickup-Trucks und die Patronen, die die Kämpfer in die Luft oder auf die kurdischen Peschmerga abfeuern können—auch die Produktion von aufwändigen Propagandavideos und die Verwaltung der eroberten Gebiete verschlingen ordentlich Mittel.

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Bekannt ist, dass die Terrorgruppe bei der Eroberung von Mossul ca. 420 Millionen US-Dollar in der dortigen Filiale der iraksichen Zentralbank erbeutete, womit sie auf einen Schlag als reichste Terrorgruppe der Welt galt. Aber auch wenn das nach viel Geld klingt: irgendwann braucht auch eine semi-professionelle Armee wie der IS wieder neue Mittel. Bis jetzt sieht es nicht so aus, als seien ihre Quellen versiegt. Wo kommt das ganze Geld her?

Um das herauszufinden, habe ich John Keatinge angerufen. Er hat vorher jahrelang als Investmentbanker bei JPMorgan Chase gearbeitet und beschäftigt sich jetzt hauptberuflich mit der Frage, wie sich Terroristen finanzieren. Weil die Welt mittlerweile schon so fürchterlich vernetzt ist, tauchen auch bei einem Gespräch mit einem Terror-Experten Fragen auf, die auf den ersten Blick mit Terror nichts zu tun haben: Wie viel wiegt beispielsweise eine Million Dollar in Bar? Und mit wie viel Geld in der Unterwäsche kann man noch aus England ausreisen? Kann man Terror auch mit Bitcoins finanzieren? Und sind die kolumbianischen FARC eigentlich die einzigen Rebellen, die ihr Geld in Steueroasen irgendwo im Atlantik waschen?

Tom Keatinge. Foto mit freundlicher Genehmigung

VICE: Herr Keatinge, wie viel Geld hat der IS denn eigentlich?
Tom Keatinge: Von ein oder zwei Milliarden ist die Rede. Ich vermute, sie machen zwei oder drei Millionen Dollar am Tag mit dem Verkauf von Öl, dann hätten sie bis zu 500 oder 600 Millionen im Jahr. Dazu kommt eben noch die Steuer der Menschen vor Ort—und das Geld und die Waffen und Fahrzeuge, die sie erbeuten. Das ist eine Menge mehr als die 30 Millionen, die al-Qaida vermutlich 2001 als Budget hatte.

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Die Öl-Raffinerien in Syrien wurde ja gerade erst von den USA bombardiert.
Die Bombardierung wird den IS sicherlich bei der Finanzierung einschränken. Wenn ich der CFO des IS wäre, würde ich mir überlegen, welche anderen Finanzierungsoptionen ich habe. Höhere Steuern für Privatpersonen und Geschäfte wären möglich, auch wenn das ab einem gewissen Punkt kontraproduktiv wird. Andererseits wäre es möglich, die Sozialhilfe oder die Gehälter zu reduzieren—ein „Islamic-State-Sparprogramm“ quasi. Wobei auch das nach hinten losgehen kann, wenn der IS seine Unterstützung verliert. Die bedenkliche Alternative wäre, wenn der IS entscheidet, Lösegeld zu erpressen. Kidnapping ist für al- Qaida im Maghreb (AQIM) sehr profitabel, und der IS hat es bis jetzt noch nicht viel genutzt.

Welche Rolle spielen Spenden für die Finanzierung des IS?
Der IS ist jetzt eine unglaubliche Marke geworden, erschaffen durch effektive Propaganda und natürlich der Ausrufung des Kalifats. Ich vermute, das war teilweise auch erst der Grund, überhaupt ein Kalifat auszurufen. Jetzt erst kommen Spenden aus der ganzen Welt, selbst aus Indonesien.

Wie erreichen Spenden den IS denn überhaupt?
Es gibt zwei Wege: Den herkömmlichen Banktransfer zu einem IS-Konto, oder erst über eine Bank, dann mit einem Kurier. Natürlich sollten Banken darauf achten, dass so etwas nicht passiert. Aber die Banken in Kuweit oder Katar sind nicht besonders gut darin, das zu kontrollieren. Es gibt auch Fälle, in denen Leute das Geld persönlich transportieren. Eine Britin wurde vor Kurzem mit 20.000 Euro in ihrer Unterwäsche festgenommen. Vergessen Sie nicht, dass eine Million Dollar nur 10 Kilo wiegen. In 500-Euro-Scheinen wiegt eine Million Euro sogar nur zwei Kilo.

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Gibt es grundsätzliche Unterschiede zwischen der Art, wie al-Qaida sich finanziert und der Art, wie der IS sich finanziert?
Der Unterschied ist, dass die al-Qaida ein Franchise-System ist wie McDonalds. Es gibt Franchise-Nehmer wie ,al-Qaida auf der arabischen Halbinsel', ,al-Qaida im Maghreb', und eben den al-Qaida-Kern in Pakistan. Al-Qaida mag teilweise Land und Menschen kontrollieren, aber keine kommerziellen Zentren oder Rohstoffe wie Ölfelder. Das Problem, das Aiman Al-Sawahiri [Chef der al-Qaida] hat, ist, dass der IS eine modernere und trendigere Nachricht kommuniziert und über mehr Geld verfügt.

Wie viel Geld braucht man, um eine ernstzunehmende Terrororganisation zu sein?
Der 9/11-Bericht kam zu dem Schluss, dass al-Qaida rund 30 Millionen Dollar brauchte: Für Training, Propaganda, Waffen, Material und die ,Miete', die sie den Taliban in Afghanistan zahlen mussten. Der Anschlag an sich soll nicht mehr als 500.000 Dollar gekostet haben. Auch der Anschlag auf die Londoner U-Bahn hat wohl nicht mehr als 8.000 Pfund gekostet. Jeder kann mit eine paar hundert Euro einen Anschlag ausführen. Das Teure daran ist, die Umgebung zu schaffen, das System am Laufen zu halten.
Wenn Terroristen aber eine staatsähnliche Struktur schaffen, ist die Situation eine andere. Jetzt muss der IS den Leuten etwas bieten, damit sie nicht versuchen, den IS loszuwerden. [Die somalische Terrorgruppe] Al Shabaab ist auch ein gutes Beispiel dafür. Diese Gruppe kontrolliert Land und Menschen, deswegen versucht sie, sich wie eine Regierung zu benehmen. Sie brauchen dafür Geld, das sie mit dem Handel von Kohle verdienen wollen.

Welche Kosten muss eine Terrororganisation außer dem Krieg in ihrem Haushalt einplanen?
Der IS muss auch die Umgebung so attraktiv gestalten, dass weiterhin fremde Kämpfer kommen und Qualifikationen wie Kommunikationsfähigkeiten oder finanzielle Fähigkeiten mitbringen. Der IS kann diese Leute vielleicht nicht bezahlen, sie kommen auch hauptsächlich aus ideologischen Gründen, aber er muss ihnen auch Essen geben und für ihre Ausgaben aufkommen.

Haben Terroristen eigentlich schon digitale Währungen wie Bitcoin für sich entdeckt?
Dafür habe ich bis jetzt noch keine Belege gesehen. Aber Geld zu bewegen und aufzubewahren, sind zwei der wichtigsten Herausforderungen von Terroristen. Und es ist eine absolut spannende Frage, wie viel Geld schon durch solche hochentwickelten Kanäle geht—obwohl ich nicht glaube, dass es im Moment viel ist. Aber bei der Art und Weise, wie der IS das Wissen von Fremden anzieht, könnte das bald der Fall sein. Bis jetzt wurden digitale Währungen nur zur Geldwäsche benutzt.

Spielen undurchsichtige Steueroasen bei der Finanzierung von Terroristen eine Rolle?
Offshore Tax Havens sind zu komplex für Operationen wie den IS. Sie spielen keine Rolle bei der Finanzierung von Terroristen. Aber hybride Organisationen wie die kolumbianische FARC, die auch teilweise organisiertes Verbrechen ist, haben schon angefangen, Geld in Offshore Tax Havens und durch digitale Währungen zu waschen.

Kann es nicht sein, dass der IS bald die Methoden der FARC aufgreift?
Der Unterschied ist, dass es nicht das Ziel von Terrororganisationen ist, Menschen reich zu machen wie im System der FARC. Lateinamerikanische Gruppen wollen Geld machen, Geld waschen und Profit machen. Terroristen im Nahen Osten wollen keinen Profit, sie wollen, dass es knallt—und sie wollen ihre Ideologie verbreiten.