Popkultur

Interview: Let's fuck the pain away mit Peaches

"Jetzt handelt jeder Song von Pussy, und ich liebe es."
Die Sängerin Peaches liegt auf einem Teppich
Fotos: Eva Luise Hoppe
Bildschirmfoto 2024-03-25 um 13
Dieser Artikel ist Teil von "The Final Issue", der letzten deutschen Printausgabe von VICE

Zunächst mal Karten auf den Tisch: Wir mögen Peaches. Von wegen journalistischer Distanz und so. Mit der in Berlin lebenden Künstlerin, Electroclash-Musikerin und Underground-Ikone verbindet uns eine lange Freundschaft. Schon Anfang des vergangenen Jahrzehnts hat Peaches VICE-Partys kuratiert, und wir haben ihr die Laserharfe spendiert, die zu einem großen Teil ihrer Live-Shows wurde. Fair, oder? 

Aber es gibt auch davon abgesehen wirklich gute Gründe, die Künstlerin aus Toronto gut zu finden. Peaches, die mit dem Song "Fuck the Pain Away" bekannt wurde, setzte sich schon vor über 20 Jahren für Feminismus, queere Menschen und progressive Werte ein. Lange bevor es für vieles überhaupt die richtigen Worte gab. Dabei bleibt ihre Kunst bis heute zeitlos und relevant, abseits jeglicher Trends. Auch wenn wir bei VICE ihr darin immer nachgeeifert haben, müssen wir eingestehen: Peaches war da, bevor es uns gab, während es uns gab, und sie wird auch noch lange da sein, nachdem es VICE nicht mehr geben wird. Höchste Zeit also, sich die von Peaches perfektionierte Kunst der ständigen Neuerfindung einmal erklären zu lassen. 

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VICE: Wie gelingt es dir als Künstlerin, allem immer voraus zu sein? 
Peaches:
Schon als ich anfing, war ich vor allem von Fragen geleitet. Warum ist dieses so und jenes so? Alles war so kategorisiert. Ich wollte Dinge aufmischen: Die Schreibtischleute sollten abrocken, die Rocker sollten tanzen. Ich habe einfach Fragen gestellt, und es ging gar nicht darum, die Welt auf den Kopf zu stellen. Als 2003 mein Album Fatherfucker erschien, gab es noch gar keine Sprache für Dinge wie non-binary oder das Genderspektrum. Trotzdem ist es mein queerstes Album, und darauf bin ich sehr stolz. Ich schaue natürlich, was gerade passiert. Aber du musst auch immer etwas machen, von dem du sicher bist, dass du auch die nächsten Jahre noch dahinterstehen wirst. Das finde ich wirklich wichtig, sonst wirst du dich nur dafür hassen, diesen einen Song immer wieder spielen zu müssen.

Ich bin stolz darauf, dass ich immer weitermache, auch wenn Leute mich schon als One-Trick-Pony bezeichnet haben.

Die beiden US-Comedians Bowen Yang und Matt Rogers haben dich in ihrem Podcast als die erste Künstlerin bezeichnet, die schon vor den ganzen Rapperinnen so stark mit dem Wort "Pussy" in Lyrics um sich warf. 
Ich war nicht die Erste, es gab Anfang 2000 eine Gruppe von Leuten. Jetzt handelt jeder Song von Pussy, und ich liebe es. Ich liebe es einfach, was für hippe Frauen inzwischen HipHop übernommen haben. Ich liebe Cardi B und Flo Milli, einfach dieser direkte Sex-Rap.

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Du bist auch bekannt für deine Sammlung von Genitalien in jeder Form.
Oh ja, ich bin von genitalia paraphernalia besessen. Ich kriege auch viele geschenkt, und in meiner neuen Wohnung werde ich eine runde Wand in zwei Brüste umwandeln. Ich mag Dinge, die Objekte aus der echten Welt anders repräsentieren, ein Hot-Dog-Teppich, eine Tittenwand, solche Dinge. Das bringt mich zum Lächeln. 

Die Sängerin Peaches

Peaches ist die Schutzpatronin aller, die nicht nur gerne Pimmel in beschlagene Scheiben malen, sondern damit auch das System hinterfragen wollen

Dich verbindet eine lange Geschichte mit VICE. Wie bist du auf uns gestoßen? 
VICE hat in Kanada angefangen. Wir haben uns immer darauf gefreut, die neuen Ausgaben zu bekommen, und haben sie alle gesammelt. Es war einfach cool, provokant, schräg, schockierend und anders. Es gab Dinge, die du nicht in anderen Magazinen gesehen hast. Das war ein neues Level, das die Leute nicht gewohnt waren. 

Wie hat sich die Kultur seitdem verändert?
Damals ging es darum, was auf der Straße passiert, heute darum, was auf Instagram passiert. Damals gab es im VICE-Magazin die Kategorie Dos & Dont’s, in der Menschen auf Fotos bewertet wurden. Die Dont’s wären heute kontrovers. Damals liebten die Leute sie, aber eigentlich war es gemein und falsch. Es war eine Prä-Instagram-Ära. Leute wussten zu posen, wenn VICE auf einer Party war, auch wenn sie verschwitzt und high aussahen. Es waren keine Beautyshots, aber du warst dir der Kamera bewusst. VICE war ein Vorläufer von Instagram.

Es drehte sich schon sehr viel um Party Culture.
Definitiv, es ging nur um Party. Fotos von Leuten außer Rand und Band, die von Tischen springen oder in der Ecke schlafen, weil sie zu besoffen waren. Es war unverantwortlich. 

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Wahrscheinlich wäre das so heute nicht mehr möglich, weil es Smartphones gibt. Damals fühlten die Leute sich freier und waren wild.
Genau. Nur wenn die Kamera da war, wusstest du, das ist mein Moment. Außer du warst richtig hinüber. Und VICE hat das damals ausgenutzt.

Der Satz "Früher war alles besser" gilt hier also sicher nicht. Was denkst du über Leute, die ihn trotzdem ständig wiederholen?
Welches Früher meinen sie damit? Als ich nach Berlin kam, hieß es, alles war besser, als die Mauer noch stand. Ich dachte mir nur: Es war besser für dich, aber nicht für die auf der anderen Seite. Und dann sagten sie, die Zeit nach der Wende war besser. Für mich war Anfang 2000 natürlich besser wegen all der leeren Orte. Aber es war auch eklig, und das ist es oft immer noch, vor allem der Zigarettenrauch. Gerade ist eine schräge Zeit für Berlin, die Gentrifizierung hat aufgeholt. Aber das Früher wirkt manchmal auch deshalb besser, weil dein Leben stressiger geworden ist. Deine Verantwortung nimmt zu, und dann sagst du, früher war alles besser. Aber es kommt immer auf die Perspektive an. Es gibt bestimmt auch Leute, die in zehn Jahren sagen werden, alles ist so viel besser, weil Berlin immer noch besonders ist. 

Jetzt interessiert mich aber doch, wie die Clubszene aussah, als du Anfang der 2000er nach Berlin kamst.
Es gab das Ostgut, und hinter dem heutigen Soho House war das Casino. Ich hatte mein Studio im Tacheles, das wie ein Disneyland für Hausbesetzer war. Mein Zimmer hatte keine Dämmung, aber ich konnte 24 Stunden am Tag Musik machen. Im Sommer gab es teilweise zwei Technopartys gleichzeitig, während ich drinnen an meiner Musik arbeiten wollte. Keiner hatte einen Plan. Es gab all diese schrägen, temporären Orte, wo immer Party war. Ich tat mich allerdings etwas schwer mit der queeren Szene, vor allem die Drag-Szene war sehr verschlossen. Es war so: "Du siehst nicht aus wie eine Dragqueen, verpiss dich, not welcome."

Dann lass uns zurück in die Gegenwart gehen. VICE schließt nach 18 Jahren. Hast du noch einen Tipp für uns, wie man harte Zeiten durchsteht?
Du musst aktiv bleiben, wissen, was du willst, und es einfach machen. Isoliere dich nicht. Such dir eine Community, an die du glaubst.

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