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Berlins berüchtigste U-Bahnlinie: Menschen erzählen ihre wildesten U8-Storys

Leon, 30: "Er hat dann seinen Schwanz rausgeholt und einfach gewichst."
Auf dem Ubahn-Schild "Leinestraße" wurde gesprayed, sodass dort nun "Schweinestraßenstrich" zu lesen ist. In dem Artikel geht es um die Ubahnlinie U8 in Berlin. Wir haben Leute gefragt, was sie dort schon so erlebt haben.
Foto: Tobi Bihler

Die U8. Hier bin ich Mensch, hier darf ich’s sein. Auf 18 Kilometern erstreckt sich die Linie zwischen Wittenau und Hermannstraße. 18 Kilometer, auf denen eigentlich immer etwas passiert. Oft nur Halbgutes. Manchmal übergibt sich jemand, manchmal schlagen sich zwei Menschen, immer kullern Sternburgflaschen herum.

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Als ich noch studiert habe, bin ich oft mit der U8 gefahren, um zu meinem Nebenjob in der Bernauer Straße zu gelangen. Eines Morgens stieg ein Mann ein, dem Blut aus beiden Ohren lief. Ich hatte überhaupt keine Zeit darüber nachzudenken, wie und ob ich dem Mann helfen könnte. Er zückte sofort eine Bibel und fing sehr laut an zu predigen. Er erklärte uns, dass wir Fahrgäste uns heute vor dem jüngsten Gericht würden verantworten müssen. Die Apokalypse sei nun gekommen. Eine Station später stieg er wieder aus. Für mich und die anderen Fahrgäste war das ein bonding Moment. Wir schmunzelten uns ein bisschen unsicher an. 


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Bei einer anderen Fahrt saß mir gegenüber eine Frau, die erkennbar auf der Straße lebte. Ihre Augen bewegten sich alle paar Sekunden wild von rechts nach links und zurück. Plötzlich griff sie in ihre Tasche und zog eine Packung mit Haarfärbemittel heraus. Die U8 ist ein Ort für alles, auch für Körperpflege. Die Frau begann also, sich die Haare zu färben. Schwarze Farbe rann ihr über die Schläfen und schließlich den Hals. Sie rieb die Farbe mit ihren bloßen Händen auf ihrem Schädel herum und alles roch nach Ammoniak. Als sie fertig war, legte sie die Farbflasche auf ihren Sitz, der wenig später auch an vielen Stellen schwarz war. 

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Weil anscheinend jeder in Berlin lebende Mensch mindestens eine U8-Geschichte hat, habe ich mal in meinem Umfeld nachgefragt.

Sarah, 26: "Er hat gesagt, dass es sich um Zauberblätter handele"

Wo soll ich anfangen? Einmal bin ich am Hermannplatz eingestiegen und am Kottbusser Tor sind drei Jugendliche zugestiegen. Einer von denen hat sich neben mich gesetzt und angefangen zu kiffen. Seine Freunde haben sich vor ihn gekniet und ihn beim Kiffen gefilmt. Sie haben ihn immer wieder gelobt und ihm gesagt, wie toll er kiffen kann. Ich war sehr verwirrt und das sieht man auf dem Video bestimmt auch.

Ein anderes Mal ist eine Frau in die U8 gestiegen und hat kommentarlos eine Pfütze Zahnpastaschaum in die U-Bahn gespuckt. Sie hatte aber keine Zahnbürste oder Zahnpasta bei sich. Ich frage mich heute noch, was die Vorgeschichte war.

Ich erinnere mich außerdem an einen Obdachlosen, der mit einigen Ästen mit vertrockneten Blättern in die U-Bahn gestiegen ist. Er hat gesagt, dass es sich um Zauberblätter handele. Man müsse sie zerbröseln, sich etwas dabei wünschen und der Wunsch gehe in Erfüllung. Ich war noch ziemlich jung und habe ihm seine sogenannten Zauberblätter abgekauft. Mein Wunsch ist leider nicht in Erfüllung gegangen.

Dann gab es auch noch einen Obdachlosen, der immer wieder denselben Song gerappt hat. In diesem Song ging es darum, dass er Geld für eine Vasektomie braucht. Nicht für ein Dach über dem Kopf oder Essen, für eine Vasektomie. Ich hoffe, er hat das Geld zusammenbekommen. 

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Mohammed, 29: "Dann fing er an, sich mit einem Schlüssel das Zeug in die Nase zu schaufeln."

Ich war morgens gegen 5 Uhr unterwegs, um vor der Arbeit noch ins Fitnessstudio zu gehen. An der Station Leinestraße stieg ein Mann im grauen Mantel und Schiebermütze ein. Begleitet wurde er von einem Typen, der aussah, als habe er tagelang nicht geschlafen, und einer Frau ohne Schuhe und mit offenen Wunden. Der Mann im Mantel versorgte die beiden mit kleinen Beutelchen, die ein weißes Pulver enthielten, und die beiden stiegen an der Station Boddinstraße aus. 

Dann waren nur noch er und ich im Wagen. Ihm war offensichtlich klar, dass ich alles gesehen hatte. Denn er wollte mir jetzt ganz deutlich zeigen, dass ihm genau das scheißegal ist. Also starrte er mich eine Zeit lang an und zog schließlich aus seiner Jacke einen riesigen Beutel mit weißem Pulver, wahrscheinlich Koks. Dann fing er an, sich mit einem Schlüssel das Zeug in die Nase zu schaufeln. Ich schaute ihm dabei zu und machte ein paar Fotos. Vielleicht war es auch Trotz, aber es schien ihn nur noch mehr zu motivieren. Er packte das Koks dann auf seine Hand und ballerte weiter, bis sich das Zeug auch auf dem Boden verteilte. Am Hermannplatz stieg er dann aus.

Leni, 27: "Ich dachte direkt: Boah, jetzt quatscht der mich auch noch an"

Ich war morgens auf dem Weg zur Uni. Ich war müde und hatte keinen Bock. Dann kam ein Typ mit einer richtigen Alkoholfahne auf mich zu – schon um die Zeit mit einem Bier in der Hand und auch schon angetrunken. Er sah ungepflegt aus und ich dachte direkt: Boah, jetzt quatscht der mich auch noch an. Ich habe leicht genervt meine Kopfhörer rausgenommen. Er hat mich angeguckt und gesagt: “Hey, mach mal lieber deinen Rucksack zu. Du musst in der U-Bahn besser auf deine Sachen aufpassen. Das ist gefährlich.” Er wollte mir einfach nur helfen und war nett. 

Leon, 22: "Sie wirkte echt sauer"

Ich bin am U-Bahnhof Residenzstraße eingestiegen und Richtung Alexanderplatz gefahren. In meinem Waggon saß eine Frau, die offensichtlich unter Drogen stand. Sie hat angestrengt diskutiert – und zwar mit einer Wand. Als sie irgendwann angefangen hat zu schreien, habe ich auch verstanden, was sie der Wand gesagt hat: "Wie, du willst keine vegane Wurst? Ich habe extra vegane Wurst mitgebracht." Sie wirkte echt sauer. 

Yannah, 33: "Ich habe mich selten so erschrocken"

Mich hat in der U8 einmal eine Frau von Weitem fixiert, ist in meine Richtung losgerannt und hat angefangen, mit einem Pendel wild vor meinem Gesicht rumzuwedeln. Keine Ahnung, welche Erscheinung sie vorher hatte, aber ich habe mich selten so erschrocken. Wahrscheinlich hat sie mich verflucht.

Leon, 30: "Heute würde ich die Polizei rufen oder ihn verprügeln"

Einmal bin ich nach einer Schicht unter der Woche vom Kotti nach Hause gefahren. Ich war 18 und gerade nach Berlin gezogen. Wir hatten bei der Arbeit getrunken und ich war ein bisschen besoffen. Die U8 ist immer ziemlich voll, aber Richtung Reinickendorf wurde es leerer. Irgendwann saß nur noch ein anderer Mann in meinem Abteil. Ich weiß noch, dass er ein Jackett trug und sehr dick war. Ich schätze 150 bis 160 Kilo.

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Als wir alleine waren, hat der Typ versucht, unauffällig sein Handy aus seiner Jackentasche zu ziehen. Er fing an, Fotos von mir zu machen. Ich habe ihn daraufhin gebeten, mir sein Handy zu zeigen und mich nicht mehr zu fotografieren. Er hat dann seinen Schwanz rausgeholt und einfach gewichst. Ich saß da in diesem Waggon und ich wusste nicht, wie ich darauf reagieren soll. Heute würde ich die Polizei rufen oder ihn verprügeln. Aber ich war da noch so jung und hatte noch keinen Bart und so. Ich habe bei der nächsten Station den Waggon gewechselt und weiter Bloc Party gehört.

Annika, 28: "Die Leute um ihn herum haben ihn nicht gekümmert"

Wahrscheinlich ist das eine ganz normale U8-Fahrt. Einmal hat sich ein Typ direkt neben mich gesetzt und seine Crackpfeiffe angezündet. Er hat seelenruhig geraucht, die Leute um ihn herum haben ihn nicht gekümmert. Ich hatte aber keine Angst oder so. Sowieso habe ich in der U8 nie Angst, weil in dieser Bahn zu jeder Uhrzeit so viele Menschen sind, dass theoretisch immer Hilfe in der Nähe ist. 

Tim, 36: "Er riss kleine Stücke vom Rand der Tüte ab, nahm damit etwas von dem Pulver auf und verdrehte alles zu kleinen Päckchen"

Als ich regelmäßig mit der U8 zur Arbeit fuhr, war es nicht ungewöhnlich, schon morgens Menschen zu sehen, die in der Station Heinrich-Heine-Straße Crack rauchten. Was ich jedoch vor etwa vier Jahren auf dem Nachhauseweg in der U8 sah, riss mich dann doch aus meiner Abgestumpftheit.

Mir gegenüber saß in der U-Bahn ein Mann mit einer durchsichtigen Mülltüte im Schoß. Darin war weißes Pulver. Vielleicht ein halbes Kilo. Er riss kleine Stücke vom Rand der Tüte ab, nahm damit etwas von dem Pulver auf und verdrehte alles zu kleinen Päckchen. Die steckte er sich in die Hosentasche und wirkte dabei gleichermaßen entspannt und bedrohlich. Irgendwann hatten alle im Umkreis bemerkt, was da läuft. Selten war es so still in der U8. Ich versuchte, ihn zu beobachten, ohne aufzufallen. So wie die anderen Mitfahrenden. Außer die junge Frau direkt neben mir.

Sie öffnete ihre Handykamera und hob wie in Zeitlupe das Smartphone hoch. Ich habe sofort meine Hand auf ihre gelegt und sie nach unten gedrückt. Dabei schaute ich ihr direkt in die Augen und schüttelte den Kopf. Sie schien dann auch zu checken, dass der Typ über ihre Filmerei wohl nicht sehr happy wäre, und steckte das Handy schnell weg. An der Station Schönleinstraße stieg der Mann aus. Beim Rausfahren sah ich noch, dass er direkt von einer Menschentraube umringt war. Kundschaft.

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