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Eine kleine Kulturgeschichte des Aluhuts

Von Julian Huxley bis Better Call Saul: Was bringt die metallene Kopfbedeckung denn nun wirklich?
Chuck McGill mit Aludecke über dem Kopf
Better Call Saul's Chuck McGill, gespielt von Michael McKean. Bild: Lewis Jacobs/AMC

Ein Mann in seinen besten Jahren sitzt umgeben von Papier und Büchern in der Dunkelheit. Einst brillierte er als Gründer einer erfolgreicher Anwaltsfirma, doch heute ist er nur noch einsam und verzweifelt. Vor ihm auf dem Tisch thront eine Schreibmaschine—sein einziges Zugeständnis an die moderne Welt und dennoch ein Gerät aus der Vergangenheit.

Einer der eher ungewöhnlichen Nebenstränge des Breaking Bad-Spin Offs Better Call Saul handelt von Chuck McGill, dem Bruder des Anwalts, der sich aufgrund einer mysteriösen Empfindlichkeit gegenüber elektrischen Schwingungen aus dem öffentlichen Leben zurückgezogen hat.

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Elektrosensibilität wird seit langem heiß diskutiert und ist für viele Sinnbild einer allgemeinen Forschrittsallergie—eine Art verschwörungstheoretische Neuauflage des Ludismus, der zu Zeiten der Industrialisierung jeden technischen Fortschritt als Weg in die Knechtschaft sah.

In den USA pilgern Elektrosensible in Städte, in denen es weder Handyempfang noch W-Lan gibt. An diesen Orten werden auch gerne Produkte wie Vorhänge, die elektromagnetische Wellen blocken oder Mikrowellen-Absorptions-Bleche genutzt, die ironischerweise vor allem online angeboten werden. Schlicht programmierte Websites liefern in schwülstiger Sprache Tipps für „Opfer des Elektromagnetismus" und beschreiben angebliche Risiken wie „V2K"-(Voice to Skull, also Stimme an Schädel)-Bewusstseinskontrolle oder auch die Entführungen durch Aliens, die durch elektromagnetische Wellen begünstigt würden.

Technik abzulehnen bedeutet, die gesamte Gesellschaft abzulehnen.

Bei Better Call Saul hüllt sich Chuck in Alufolie und versteckt sich in einem abgedunkelten Zimmer. Obwohl er an einer Allergie gegen die moderne Welt leidet—psychosomatisch oder anderweitig bedingt—erinnert sein Aufzug stark an die klassischen Aluhüte, welche sich vor allem unter paranoiden Verschwörungstheoretikern großer Beliebtheit erfreuen.

Die blecherne Kopfbedeckung oder generelle metallische Obflächenverkleidung fand natürlich auch Einzug in allerlei Fernsehserien wie Akte X, Futurama oder die Simpsons-Episode „Ist alles hin, nimm Focusin!".

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Doch die Kulturgeschichte des Aluhuts lässt sich noch weiter zurück verfolgen: Schon 1927 verfasste Julian Huxley—Bruder des berühmten Aldous und Halbbruder des Nobelpreisträgers Andrew—eine seltsame, aber vorausschauende Kurzgeschichte zu dem Thema.

Nebenbei war Huxley Evolutionsbiologe und machte sich dort leider einen Namen als Eugeniker. Die GeschichteThe Tissue-Culture King ist stark von seinen Erfahrungen aus der Lohnarbeit eingefärbt und erzählt von einem Wissenschaftler namens Hascome, der sich im Dschungel verirrt hat. Nachdem dieser von einem einheimischen Stamm gefangen genommen wurde, gewinnt er die Gunst des Königs Bugala durch seine „magische" Gabe, Gewebeproben des Königs hochzüchten zu können.

Was folgt, ist so dystopisch und fröhlich grausam wie auch andere von Huxleys Werken. Unter Hausarrest wird Hascome zu einer Figur in bester Daidalus-Tradition, die gezwungen wird, ihre Talente einem korrupten Regime zur Verfügung zu stellen. Doch die Nähe zur Macht steigt Hascome zu Kopf und er nutzt seine „pervertierten intellektuellen Ambitionen" zur Bewusstseinskontrolle der Massen.

Schließlich gelingt es dem Wissenschaftler, den König zu hypnotisieren. Er flieht unter einer „Kappe aus Metallfolie", die „relativ undurchdringlich für telepathische Wirkungen" ist. Doch leider wird er bei seiner Flucht überwältigt und verliert die Kappe. Der Erzähler lamentiert:

Ich flehte ihn an, seinen Verstand zu benutzen, bei seiner Entscheidung zu bleiben. Wie sehr bereute ich, dass wir in unserem Bestreben, alles unnütze Gewicht abzulegen, unsere telepathiesicheren Kopfbedeckungen zurückgelassen hatten!

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Das düstere Ende der Geschichte würde jeden Verschwörungstheoretiker stolz machen, indem es den Leser fragt, ob wir „lieber zu denen gehören, die sich abmühen, um nach Macht zu streben oder, um die Wahrheit hinter den Dingen zu erfahren." Huxley erschafft eine paranoide Atmosphäre und betont den faustischen Pakt, den die gewebeverrückten Stammesmänner eingingen.

Modernisierung heißt, Privatsphäre einzubüßen. The Tissue-Culture King geht so weit, die Liebe zur Innovation mit hypnotischer Beeinflussbarkeit gleichzusetzen. Das Wissen befindet sich in den Händen einiger Weniger, welche King Bugala in ein primitives Technikunternehmen verwandelt, das darauf abzielt, die Privatsphäre seiner Objekte zu infiltrieren. Diese Neuerungen abzulehnen und letztlich mit einer Metallfolie auf dem Kopf zu verschwinden bedeutet, die Gesellschaft selbst abzulehnen.

Zurück zur Netflix-Serie: Sauls Bruder Chuck entwickelt sich zu einem weltabgewandten Einsiedler. Durch die in The Tissue-Culture King beschriebene Innovationsgläubigkeit und der Tatsache, dass heutzutage wirklich jeder ein Smartphone besitzt, kannst du alleine durch Inaktivität zu einem Teil der Gegenkultur werden. Ablehnung der Technologie bedeutet, die gesamte Gesellschaft abzulehnen. Auch im entlegenen Albuquerque.

Chuck McGill ist ein seltsamer Vogel, der seinen Kampf im Leben leider verliert.

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Es lässt sich leicht Sympathie für Chuck aufbringen, vor allem dann, wenn er von der Polizei getasert wird. Doch bevor du dein Smartphone gegen einen silberummantelten „Brain Coat" aus Nylon austauschst, solltest du dir vielleicht kurz die Ergebnisse einer im Jahr 2005 vom MIT durchgeführten Studie ansehen.

Bei ihren Versuchen fanden die Wissenschaftler heraus, dass ein Aluhut (sie nahmen „den Klassischen, den Fez und den Centurion") die elektromagnetische Strahlung auf deinen Kopf nur noch verstärkt, statt sie abzuschirmen. Denn die Strahlung wird von der nicht geerdeten Folie teilweise absorbiert, wodurch die Wellen noch direkter auf dein Gehirn wirken.

Die Studie schließt mit einem Schmunzeln: „Es ist keine große Vorstellungskraft nötig, um zu verstehen, dass der Helmwahn von der Regierung propagiert wurde. Wir hoffen, dieser Bericht ermutigt die paranoide Gesellschaft, ihre Helme so zu verbessern, dass die Mängel sie nicht zu einer leichten Beute werden lassen."