Berliner Homos machen Putin an

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Vice Blog

Berliner Homos machen Putin an

Die Anti-Homo-Gesetze in Russland empören die LGBT-Bewegung weltweit. In Berlin haben deshalb mehrere Tausende gegen die Ausrichtung der Olympischen Winterspiele in Russland demonstriert.

Die Zahlen sind mal wieder nicht ganz klar. Manche reden von 4000, andere von 5000, bei Facebook haben sich über 6000 Menschen für die Demo gegen die homophobe Gesetzgebung in Russland angemeldet. Entsprechend stehe ich in der verstopften Bleibtreustraße, als ich am Samstag am Ausgangspunkt der „Enough is enough“-Demo in Berlin ankomme.

Ich laufe bei der Demo mit, mache Bilder und spreche mit einigen Demonstranten. Ich höre vielen Leuten zu, die mir teilweise Geschichten erzählen, die mir die Kotze in den Mund jagen, während ich mich durch den nicht enden wollenden Demonstrationszug schlängele. „Ich finde, dass es ein Grundrecht ist, dass man über die eigene Sexualität sprechen darf“, sagt mir Leonie—eine eher harmlose Aussage. Sie treffe ich ganz bereits zu Beginn der Demo. Die Veranstalter des Protestmarsches wollen heute die Sponsoren der Olympischen Spiele im russischen Sotschi, das Olympische Komitee und die Bundesregierung auffordern, die Winterspiele im nächsten Jahr zu boykottieren. Henrietta spricht die Idee an, dass sich doch Athleten und Athletinnen während der Siegerehrung küssen könnten. „Das fände ich wirkungsvoller als den Boykott irgendwelcher Wintersportler, die keiner kennt.“

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Das beliebteste Motiv auf den Plakaten in dem Regenbogen-Fahnenmeer ist übrigens Russlands Präsident Wladimir Putin. Mal geschminkt, mal oben ohne oder in Damenunterwäsche mit seinem guten Freund und Ministerpräsidenten Dmitri Medwedew—Hauptsache möglichst schwul. Neben einem dieser Plakate entdecke ich Rieke. Sie zieht nächstes Jahr für ihr Studium nach Moskau. Deshalb verfolgt sie die Geschehnisse in Russland sehr genau. „Es gibt eine Organisation in Russland, die nationalistische Züge hat. Die treffen sich unter Vorwänden mit schwulen Jugendlichen, demütigen sie, schlagen sie zusammen und werden überhaupt nicht dafür belangt. Da gab es sogar Morde. In den deutschen Medien wird darüber allerdings kaum berichtet.“

Peter erzählt mir, dass es angeblich in manchen russischen Wohnhäusern bereits Aushänge von Anwohnern gäbe, auf denen die Nachbarn dazu aufgefordert werden, ihnen verdächtiges Verhalten zu melden.

Hinter Peter und mir wird die Musik lauter, ein paar „Stop Homophobia“-Schilder beginnen, im Takt auf und ab zu wippen. „Man merkt, dass die Demo heute nicht von den großen LGBT-Verbänden, sondern nur von ein paar Privatpersonen veranstaltet wurde“, kommentiert er die Stimmung im Demonstrationszug. Wieso? „Na ja, es ist weniger Alkohol im Spiel. Die Atmosphäre ist nicht so wie beim Christopher Street Day.“

Entsprechend politischer sind auch die Gespräche. Mit Christian unterhalte ich mich über die Frage, ob der Protest gegen die russischen Anti-Homosexuellen-Gesetze wirklich mit den Olympischen Spielen in Verbindung gebracht werden sollte. „Dieses Argument, dass Sport und Politik nichts miteinander zu tun haben, ist absoluter Quatsch“, sagt er. Er erzählt mir von Emma Green Tregaro, einer schwedischen Hochspringerin, die sich bei der Leichtathletik-WM in Russland vor zwei Wochen die Nägel in Regenbogenfarben lackiert hatte. Der Leichtathletik-Weltverband IAAF drohte ihr daraufhin mit der Disqualifikation und verwarnte sie. Als sie dann in Moskau antrat, waren ihre Fingernägel rot. „Den Athleten wird ja jegliche Grundlage genommen, sich politisch zu äußern, wenn sie sich nicht mal die Fingernägel lackieren dürfen!“

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Hinter zwei Händchen haltenden Einhörnern, deren riesige Regenbogenfahnen mir ins Gesicht wehen, treffe ich einen Freund, der lieber anonym bleiben will. Er hat sich in Vorbereitung auf heute noch einmal genau mit der Gesetzgebung in Russland befasst: „Es gibt zwei Formen der Gesetze: einmal auf Ebene der Städte und dann auf Landesebene. Die Städte sind heterogener in der Beschreibung, aber im Bundesgesetz heißt es, dass zwei Sachen verboten sind: Propaganda im Beisein von Minderjährigen und Propaganda durch die Medien.“ Das Gesetz betrifft also jeden, der sich irgendwie in Russland positiv über Homosexualität äußert—auch Ausländer. Für Verstöße gibt es entweder eine Geldstrafe oder bis zu 15 Tage Haft.

Mit kleiner Papier-Regenbogenflagge in der Hand ziehen wir bis vor die russische Botschaft. Dort treffe ich auch unsere Freunde vom einzigen schwulen Rugby-Team in Berlin, die Berlin Bruisers.

Als die Demobesucher sich irgendwann vor der mobilen Bühne auf dem Demonstrationswagen gesammelt haben, kommen nacheinander Aktivisten zu Wort, die in den letzten Wochen öffentlichkeitswirksam gegen die Homophobie im Kreml protestiert haben. Barbie Breakout, die sich den Mund zugenäht hat, ist da, so wie auch James Kirchick, der im international ausgerichteten russischen Staatsfernsehsender Russia Today offen über die Diskriminierung durch das Anti-Propaganda-Gesetz gesprochen hat. Neben mir schüttelt mein Freund den Kopf. „Dieses Gesetz ist einfach so dumm. Da hat niemand was von, am allerwenigsten die Kinder.“

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