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Unsere Antwort auf Lohmanns Abtreibungsbashing? Christen fisten!

Eigentlich sollte es selbstverständlich sein, dass ein jeder Mensch über seinen eigenen Körper frei entscheiden darf, und so albern das Pfaffengeschwafel von Lohmann auch wirken mag, so ernst ist die Lage in Deutschland nach wie vor.
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Martin Lohmann schwadronierte vergangenen Sonntag in der Sendung von Günther Jauch über Abtreibungen und die Selbstbestimmung der Frau. Seine Aussage, dass „die Frage mit der Selbstentscheidung der Frau vielschichtig“ sei, wurde vom Publikum zwar ausgepfiffen, jedoch verweist sie auf erschreckende Art und Weise trotzdem auf das, was nach wie vor gängige Meinung in der Abtreibungspolitik ist. Es ist nicht mehr en vogue, so radikal gegen die Selbstbestimmung der Frau zu sein und Lohmann wurde vorgeworfen, die Katholische Kirche verliere den Bezug zu den Bürgern. Ach echt? Aber sind die Ansichten von Lohmann wirklich so weit entfernt von dem, was die breite Masse über Abtreibung denkt? So albern das Pfaffengeschwafel von Lohmann auch wirken mag, so ernst ist die Lage in Deutschland nach wie vor.
Denn der Umgang und die Diskussionen um Abtreibung und Selbstbestimmung über den eigenen Körper haben oft einen faden Beigeschmack. Eigentlich sollte es selbstverständlich sein, dass ein jeder Mensch über seinen eigenen Körper frei entscheiden darf. Aber die Annahme, dass unser Körper nur uns gehört und wir allein entscheiden, was damit geschieht, ist trügerisch. Zwar haben fast alle westlichen Staaten die Abtreibungspraxis liberalisiert, jedoch sind sie nach wie vor weit davon entfernt, den betroffenen Personen mehr Selbstbestimmungsrecht zuzusprechen. Denn wenn du abtreiben willst, gibt es eine Menge Leute, die ein Wörtchen mitzureden haben. Der Schwangerschaftsabbruch wird in Deutschland nach den §§ 218 ff. des Strafgesetzbuches (StGB) mit Freiheitsstrafe bedroht. Die Strafandrohung für Arzt und Schwangere hat jedoch zahlreiche Ausnahmen und Grenzen. Eine Abtreibung ist nur dann straffrei, wenn einige Kriterien erfüllt werden.
Die ungewollt Schwangere muss zunächst an einer Schwangerschaftskonfliktberatung teilnehmen, welche laut Gesetz dem Schutz des ungeborenen Lebens dienen soll und ergebnisoffen geführt wird. Moment, da stimmt doch was nicht. Wie kann etwas ergebnisoffen sein, was einem bestimmten Ziel dient? Angeblich soll bei diesen Gesprächen niemand zu einer bestimmten Entscheidung gedrängt werden, jedoch scheint das pure Heuchelei zu sein, wie Attacken gegen Organisationen wie profamilia in der Vergangenheit zeigten. Außerdem muss vor dem Abbruch eine dreitägige Bedenkfrist eingehalten werden. Für Ärzte/Ärztinnen und Schwangere ist die Durchführung eines Schwangerschaftsabbruchs bis zur 12. Schwangerschaftswoche straffrei. Im Falle eines Abbruchs zwischen der 14. und 24. Schwangerschaftswoche ohne triftigen medizinischen Grund bleibt die Schwangere selbst straffrei, wenn sie eine Beratung nachweisen kann. Der Arzt handelt jedoch strafbar. In jedem Fall kann das Gericht von Strafe absehen, wenn es feststellt, dass sich die Schwangere zur Zeit des Eingriffs in besonderer Bedrängnis befunden hat. Allerdings ist niemand zur Mitwirkung an einem Abbruch verpflichtet.
Weitere Ausnahmen gelten dann, wenn eine Gefahr für das Leben oder die Gesundheit der Mutter vorliegt, oder im Falle einer Vergewaltigung. So weit so kompliziert. Abtreibung wird einem hierzulande nicht leicht gemacht und da wären wir wieder bei dem eingeschränkten Selbstbestimmungsrecht der Frau. Der Staat nimmt sich also das Recht heraus, mitzudiskutieren, was mit dem Bauch seiner Bürgerinnen geschieht. Und der Staat mischt sich nicht nur beim Thema Schwangerschaft ein. Die ewige Propaganda über eine gesunde Lebensweise und der damit verbundene Erhalt der Arbeitskraft, das Glück der Familie und dessen finanzielle und strukturelle Förderung sind nur Beispiele. Aber wieso haben so viele Institutionen ein Recht auf Mitentscheidung, obwohl die Entscheidung zu einem Abbruch so persönlich ist?
Der weibliche Körper und seine Produktionsfähigkeit sind ein hartes Politikum, da sie den Fortbestand einer Gesellschaft garantieren. Des Weiteren sind gerade die Menschen in Deutschland von einer Angst vor der Überalterung der Gesellschaft getrieben. Der demographische Wandel ist nicht nur ein Mythos, es gibt ihn wirklich. Und wenn immer weniger Kinder geboren werden, wer zahlt dann bitte unsere Steuern? Ganz zu schweigen von den immensen Kosten für die Renten, die fällig werden, wenn das Land zu einem Großteil aus alten Leuten besteht. Aber sollte es deswegen die moralische Pflicht einer jeden Frau sein, für den Fortbestand der Gesellschaft zu sorgen?

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Nein. Es sollte ein fundamentales Recht aller Frauen sein, selbst diese Entscheidungen zu treffen. Sollte ein verantwortungsvoller Typ am Start sein, darf er sich gerne an der Diskussion beteiligen. Gut is. Liest man sich durch diverse Foren zu dem Thema, bekommt man allerdings das kalte Grausen. Demnach ist es für viele Menschen dort nur akzeptabel, eine Schwangerschaft abzubrechen, wenn das Leben der Frau bedroht ist oder das Kind schwer behindert zur Welt kommen würde. Das ist doch eine schöne Doppelmoral. Leben schützen, aber nur, wenn es gesund—und somit nützlich für die Gesellschaft—ist. Das zeigt ganz deutlich, wie unausgewogen die fanatischen Forderungen der Pro-Life-Aktivisten sind. Sie maßen sich an zu beurteilen, welches Leben lebenswert ist und welches nicht. Immer wieder werden Stimmen laut, die vom „unschuldigen Leben“ palavern und die Frauen, welche sich für eine Abtreibung entscheiden, an den Pranger stellen. Frau soll also lieber ein ungewolltes Kind austragen und dann so richtig schön für den Rest ihres Lebens unglücklich sein.
Wer Sex hat, solle sich doch bitte über die möglichen Folgen im Klaren sein. Also entweder verhüten oder gar keinen Sex haben. Dass Verhütungsmittel nicht 100%ig sicher sind, scheint aber oft in Vergessenheit zu geraten. Ein wirklich absurdes Bild von Sexualität, welches hier gezeichnet wird. Ich darf also nur Sex haben, wenn ich auch bereit bin, im Falle eines Falles ein Kind auszutragen? Sorry, aber von wem haben wir eine solche Meinung zum Thema Sexualität schon mal gehört? Ich glaube, der Typ wohnt im Vatikan und ist gefühlte 100 Jahre alt. Und plötzlich wirken die Äußerungen von Lohmann gar nicht mehr so radikal und realitätsfremd. Zwar wächst die Akzeptanz für Schwangerschaftsabbrüche zunehmend, wie man an der Reaktion des Publikums bei Jauch erkennen konnte, jedoch nur, wenn man oben genannte Schikanen über sich ergehen lässt und bewiesen wurde, dass ein zwingender Grund vorliegt. Die Entscheidung, was genau ein solcher Grund ist, um die Schwangerschaft abzubrechen, wird selten den betroffenen Personen überlassen. Schnell wird die Moralkeule ausgepackt und die Gründe der Schwangeren in Frage gestellt. Wer eine Schwangerschaft abbrechen möchte oder muss, ist grundsätzlich erst einmal in der Pflicht, sich zu rechtfertigen. Gerne auch vor völlig Fremden, welche nun wirklich kein Recht haben, darüber zu entscheiden, was mit und in fremden Bäuchen geschieht. Dass die Entscheidung zu einem Abbruch eine individuelle und zutiefst persönliche Entscheidung ist, die nicht einfach verallgemeinert werden kann, wird von Pro-Life-Spackos nur all zu oft vergessen. Bei der Diskussion um Abtreibung werden Frauen zu einer homogenen Interessengruppe zusammenfantasiert, über die bestimmte Aussagen getroffen werden. Selten wird hier im Sinne der betroffenen Frauen argumentiert. Eine Frage, die sich also immer wieder stellt, ist, wem gehört mein Bauch und wer darf darüber entscheiden? Oder viel mehr: Wie kommen irgendwelche Leute darauf, dass sie ein Recht hätten, mir meine Entscheidung abzunehmen oder darüber zu urteilen? Und es ist ja nicht so, dass eine Abtreibung besonders lustig ist und ganz viel Spaß macht und deswegen so viele Frauen scharf auf das Recht, abtreiben zu dürfen, sind. Nein, es ist so richtig beschissen. Und als wäre das nicht schlimm genug, muss man sich noch mit einer Menge Spinner auseinander setzen, die einem vorschreiben wollen, was du mit deinem Bauch zu tun und zu lassen hast. Werden bestimmte Voraussetzungen nicht erfüllt, hast du Pech gehabt. Du wanderst zwar nicht in den Knast, wenn du bis zur 12. Schwangerschaftswoche einen Abbruch vornehmen lässt, auch wenn keine Gefahr für dich oder dein Kind vorliegt und du nicht vergewaltigt wurdest, jedoch macht dich das schon irgendwie zu einem schlechten Menschen. Und auch wenn die Mitte der Gesellschaft nicht ganz so abartig ist wie die christlichen Volldeppen, so schwingt doch auch hier mit, dass ohne guten Grund eine Abtreibung vermieden werden sollte. Die Schwangere muss ihre Gründe mehrmals vor fremden Menschen begründen, die sie wahrscheinlich überreden wollen, das Kind zu bekommen und ihr unrealistische Hoffnungen auf staatliche Unterstützung machen. Sie muss abfällige Blicke und Kommentare ertragen, und wenn sie Pech hat, wird sie eine ganze Weile nach einem Arzt oder einer Ärztin suchen müssen, die bereit sind, den Eingriff bei ihr durchzuführen.
Die Schwangere hat also so oder so die Arschkarte gezogen. Die Fähigkeit, Kinder brüten und ausquetschen zu können, macht ihren Körper zum Allgemeingut. Selbstbestimmung ist also keineswegs ein Recht, welches jedem zugestanden wird. Der Wille und das Schicksal der Schwangeren ist absolut zweitrangig, wenn es um Reproduktion geht. Der weibliche Körper und dessen Sexualität werden aufgrund ihrer möglichen Reproduktionsfähigkeit als Allgemeingut betrachtet und offensichtlich darf sich jeder x-beliebige Gutmensch in den Entscheidungsprozess für oder gegen einen Abbruch einmischen. Nicht den tiefen Drang zu spüren, ein Kind auszutragen, sich seiner Mutterschaft ganz hinzugeben und somit sein gesellschaftliches Soll zu erfüllen, trifft nach wie vor auf breites Unverständnis, widerspricht es doch nun wirklich der Natur aller Frauen. Dabei könnte es doch so einfach sein. Die Entscheidung, ob jemand ein Kind austragen möchte und kann, sollte ausschließlich bei der Schwangeren und wenn unbedingt nötig bei den möglichen Erzeugern liegen. Das letzte Wort hat hier nach wie vor die schwangere Person. Unabhängige (psychologische) Beratung wäre auch total super, ohne den moralischen Zeigefinger, wenn es geht. Also bitte hört auf, euch in die reproduktiven Angelegenheiten eurer Mitmenschen einzumischen. Wenn jemand für sich selbst entscheidet, dass eine Abtreibung nicht in Frage kommt, viel Glück, viel Spaß, alles Gute. Meinetwegen könnt ihr alle 20 Kinder bekommen. Nur bitte hört auf, euch moralisch überlegen zu fühlen, weil ihr bereit seid zu gebären. Mein Bauch gehört mir. Nur mir. Nicht dir, nicht meinen Ärzten und Ärztinnen und ganz sicher nicht Herrn Lohmann. Dem gehört nur mein ausgestreckter Mittelfinger.