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The Children of the Dragon Issue

Söldner der Justiz

Wenn man der Anwalt von zwei Hells-Angels-Chartern ist, dann ist die Angst vor einem Lynchmob die einzige valide Ausrede, um einen Mandanten abzulehnen.

Als Anwalt von zwei Hells-Angels-Chartern in Mecklenburg-Vorpommern und mit seinem großen Mandantenstamm von Rockern aus ganz Deutschland befasst sich Sven Rathjens vor allem mit den typischen Gesetzeskonflikten von Bikern. MC-Kriminalität beschreibt allerdings nur einen Bruchteil seiner Berufung, die er darin sieht, keinen Fall abzulehnen—vom Kinderschänder bis hin zum Vergewaltiger und Mörder. Wie geht er damit um, Menschen dabei zu helfen, ihr Strafmaß zu mindern oder gar freigesprochen zu werden, deren Taten bei den meisten von uns nichts als Ekel, Hass und vor allem Angst auslösen? Das soll er uns selbst erzählen. VICE: Würdest du auch mal einen Fall ablehnen, weil du ihn zu schlimm findest?
Sven Rathjens: Nein, ich würde niemals einen Fall ablehnen. Es gab aber ein Verfahren, da ging es auch um die Tötung eines jungen Mädchens. Der [Täter] ist entlassen worden und hat dann das Mädchen gequält, vergewaltigt und umgebracht. Das [Mädchen] kam aus der Nachbarschaft, wo ich früher gewohnt habe. Ich habe es dann nicht gemacht. Aber nicht aus beruflichen Gründen oder irgendwelchen moralischen Wertvorstellungen heraus, sondern einfach aus faktischen Überlegungen. Denn danach hätte ich dann wahrscheinlich dort wegziehen müssen. Warum? Hattest du Angst, dass deine Nachbarn dich lynchen?
Die Bevölkerung fragt sich immer, wie kann der denn überhaupt so einen verteidigen? Aber es ist für mich ein normaler Job. Ich bezeichne mich immer gerne als Söldner der Justiz. Ja, ich bin käuflich, mein Gewissen ist käuflich, meine Moral ist käuflich. Aber nur im Job. Meine persönlichen Wertvorstellungen bleiben mir erhalten. Im Job muss man die auch häufig beiseite schieben. Aber öfter bei anderen Straftaten als bei Straftaten, die den MCs zugeordnet werden. Aber hast du nicht trotzdem manchmal Schwierigkeiten, wenn deine persönlichen Wertvorstellungen völlig von dem, was dein Job fordert abweichen?
Keine. Ich bin ein völlig unmoralischer Mensch. Nein, das ist natürlich nicht so. Aber eines muss ich sagen: In meinem Job muss ich meine eigenen moralischen Wertvorstellungen—die sind recht konservativ—zurückstellen, wenn nicht sogar ganz ausstellen. Sonst könnte ich den Job nicht machen. Die MC-Fälle sind da aber harmlos. Da ist der Kinderschänder, der das Kind umgebracht hat, oder der Kindsmörder—das war auch ein sehr einschneidendes Verfahren—der das Kind einer Frau dadurch getötet hat, dass er einen armdicken Ast in den Vaginalbereich der Frau so lange reingetrieben hat, bis das Kind tot war. Um danach die werdende Mutter auch noch umzubringen. Das sind eher die schlimmeren Verfahren. Da mache ich lieber MC-Verfahren. Welche Straftaten sind die schlimmsten für dich?
Meine Privatmeinung ist, dass es nichts Schlimmeres gibt als Kinder, die mit einbezogen werden in Straftaten. Sei es sexueller Missbrauch, Mord oder wie auch immer. Frauen, auch genauso schlimm. Da gibt es die ekelhaftesten Sachen, die man sich gar nicht ausmalen möchte, die habe ich dann auf’m Schreibtisch liegen. Ich hatte auch schon Angestellte, die damit nicht mehr klarkamen und psychische Probleme bekamen. Dann hat man sich im Guten getrennt. Aber du hast nie solche Probleme?
Ich muss damit klarkommen, ich habe mich auch dazu entschieden und der Job macht mir Spaß. Aber es gibt auch Momente, wo man nicht mehr richtig zwischen privater Meinung und Job trennen kann. Da kommen auch schon Nächte vor, wo man nicht besonders gut schläft oder wo man schon mal einen Jack zu viel trinkt, um das zu vergessen, was man an dem Tag erlebt hat. Aber ansonsten wird jedes Mandat angenommen, das ist mein Job. Wenn ich das nicht so machen würde, hätte ich den Job als Strafverteidiger verfehlt. Wenn ich das nicht mache, macht’s ein anderer. Interessiert es dich, wenn deine Mandanten fragwürdige politische Einstellungen haben?
Wir vertreten hier alles. Links, rechts, mitte, Rocker. Alles. Wir haben auch sicherlich einige, sag ich mal, kleinere Nazis hier, die wir vertreten. Plötzlich waren wir dann auch die Nazianwälte. Genauso wie wir ja die Rockeranwälte sind. Und als G8-Gipfel war, waren wir die Linken-Anwälte, weil ich da auch im Legal-Team war. Irgendwas bin ich immer. Das steht auch in den Medien, ist ganz interessant. Wenn wir Nazis vertreten, wird das immer in den linken Medien berichtet. Wenn wir Linke vertreten haben, kommen dann wieder andere Medien. Auf deiner Homepage ist dieses Bild mit einer Waffensammlung, was man haben darf und was nicht. Warum sind Waffen in MCs so populär? Ich habe jedenfalls keine Waffe und meine Freunde auch nicht …
Vorher hat man sich auf die Schnauze gehauen. Da ist keiner richtig doll zu Schaden gekommen und dann war die Sache geklärt. Und danach hat man vielleicht wieder ein Bier getrunken. Und irgendwann kam jemand auf die blöde Idee, dass man auch ein Messer dabei haben müsse. Irgendjemand hat mal angefangen. Und bevor jemand bei mir vor der Haustür steht mit einem Messer, habe ich auch lieber eins griffbereit. Deswegen haben sie häufig diese Messer oder andere Gegenstände. Es ist zum reinen Selbstschutz. Ich habe jetzt auch diese Schwerter. Das ist ein Geschenk. Ich sage mal so, wenn jemand hier herkommt und mir was Böses will, würde ich ihm im Zweifel auch den Kopf abhauen. Drastisch gesprochen jetzt.

Fotos von Max Merz