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Musik

Man addiert, um zu absorbieren

Alva Notos neues Album und die Philosophie des Rauschens.

Carsten Nicolai macht elektronische Musik. Nicht im Sinne der unzähligen Volltrottel, die meinen, Ableton hochzufahren genüge als Ermächtigung zum Produzentendasein und die gnadenlos mit ihrer akustischen Ölpest das Genre schänden. Ebenso wenig im Sinne des wummernden Hintergrundrauschens einer Pillenabfahrt in die Techhouse-Hölle. Wobei Rauschen in Nicolais Soundkosmos unbedingt eine wichtige Rolle spielt. Er improvisiert vielmehr eine Klangarchitektur, die in sich meditative Anstöße liefern und sich bis in ein absolutes Katharsismoment steigern kann. Er macht das zumeist unter dem Namen alva noto, kollaborierte aber auch kürzlich mit Blixa Bargeld als ANBB. Wir trafen ihn, um etwas mehr über sein neues alva noto-Album zu erfahren. VICE: Hi Carsten, kannst du mir etwas über die Entstehung deines neuen Albums erzählen?
Carsten Nicolai: Das Album heißt univrs. Es bezieht sich auf ein älteres Album namens unitxt. Das hat so einen seriellen Charakter, ich hatte auch schon mal die so genannte transall-Serie. transform hieß die erste Platte, danach folgten transspray, transvision und transrapid. Es ist die Fortsetzung der Idee, mit rhythmischen Strukturen zu arbeiten. Die uni-Idee wurde allerdings aus dem Live-Kontext heraus geboren.

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Eigentlich dachte ich, dass du zuhause deine Tracks aufnimmst und sie dann abspielst, wenn du auf der Bühne stehst …
Es ist eigentlich genau anders herum. Ich bereite zwar viel vor. Da ich aber das ganze Jahr über toure, bereite ich schon neue Songs während einer Tour vor. So entsteht eine gewisse Flexibilität, die ich in meinen Live-Sets anwenden kann. Beim Performen höre ich natürlich, was funktioniert und was nicht. Aus diesen Erfahrungen heraus komponiere ich neue Songs, die ich live testen kann. Dabei merke ich auch, was es auf die Platte schafft, und was nicht. Man hört den Tracks glaube ich auch an, dass sie live entstanden sind und nicht im Studio. Starke, rhythmische Songs, die auf einem stabilen Gerüst basieren. Sie haben eine gute Dichte und ich habe eine Menge Improvisationsmöglichkeiten.

Gibt es Faktoren, die dich live dazu bewegen, in bestimmte Richtungen zu gehen?
Es ist immer sehr vom Publikum abhängig. Man riskiert mehr, man geht eher an seine Grenzen und aus sich heraus wenn das Publikum gut drauf ist. Wenn man merkt, dass die Anlage und das Publikum nicht so wollen, ist man schüchterner. Manchmal stehen die Leute nicht vor einem, sondern es ist ein Sitzkonzert. Da ist es dann natürlich schwieriger, das Publikum zu bewegen. Es ist so was wie eine Theater- oder Kinostimmung. So was kann meine Auftritte sehr beeinflussen.

Beim ersten deiner Konzerte, das ich miterlebt habe, war ich von der emotionalen Wirkung der Musik erstaunt. Ich musste gegen Ende rausgehen, weil ich nicht mehr konnte.
Es ist super intensiv, auch für mich auf der Bühne. Wenn man mich bittet, 1,5-2 Stunden zu spielen, sag ich, „du, das ist eine Intensität, die man einfach nicht durchhält.“ Das ist extrem, visuell gesehen oder auch akustisch und löst sich in einem riesigen Noise auf. Das ist das Tolle daran, dass du merkst, wie weit du gehen kannst. Und wenn die Audience ein Stück mitgeht, kannst du noch ein Stück weiter gehen. Wenn es gut läuft, kannst du Sachen mit dem Publikum bewerkstelligen, die im Kontext der CD oder des Studios nicht erreichbar ist. Auch das Physische des Momentes ist unvergleichbar.

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Wie würdest du den Sound deines neuen Albums beschreiben?
Einerseits habe ich versucht, die Intensität der Live-Auftritte zu reproduzieren, aber beim Produzieren fehlen natürlich die visuellen Eindrücke. Deswegen habe ich sie speziell 'hörbarer' gemacht. Ich habe auch mehr ruhige Momente eingebaut, die im Live-Kontext weniger zum Tragen kommen. Es gibt übrigens einen Film, dessen Idee mich sehr inspiriert hat: THX 1138 – ein futuristischer George-Lucas-Film. Die großen weißen Räume stellen eine klaustrophobische Zukunfts-Vision dar. Einer meiner Lieblingsfilme, kann ich nur empfehlen.

Was genau magst so an dem Film?
Die Idee der durchstrukturierten Ordnung, und andererseits der Versuch, etwas Emotionales zu erzeugen.

Worauf ich seit dem Creators Project-Dreh mit dir total hängen geblieben bin, ist der Gedanke, dass man permanent von unhörbaren Frequenzen umgeben ist. Interessieren diese Frequenzen dich heute immer noch so sehr wie früher?
Ja, ich merke schon, dass ich viel im hohen Bereich arbeite, den ich auch viel intensiver wahrnehme. Vor 10 Jahren habe ich viel damit experimentiert, heute sind sie aber nicht mehr ganz so wesentlich; nur noch in Fragmenten präsent. Ich interessiere mich gerade mehr für Rauschen und Noise, was wir zwar besser wahrnehmen, was aber auch eher unterschwellig wirken kann. Harmonien und Töne, die wir als technisch empfinden, finde ich generell sehr spannend.

Kannst du den Begriff Rauschen erklären?
Rauschen hat viel mit Zufall zutun. Im weißem Rauschen etwa sind alle Frequenzen gleichzeitig vorhanden, aber mit zufälligen Amplituden. Das ganze Frequenzspektrum ist enthalten, aber man kann einzelne Töne nur hörbar machen kann, wenn man bestimmte Frequenzen isoliert. Rauschen hat wahnsinnig viel mit der Idee der zufälligen Selbstorganisation zu tun. Rauschen kann alles sein, es kann eine einzige Frequenz sein und es kann auch eine Symphonie von tausenden enthalten. Beim Militär wird Rauschen verwendet, um andere Frequenzen zu verschlucken und damit Kommunikation zu verhindern oder zu verdecken. Philosophisch interessant: man addiert, um zu absorbieren. Hat was von einem Universum.

Ist das Rauschen auch ein großer Bestandteil des Albums?
In Details schon, letzten Endes wird man das vielleicht nicht so wahrnehmen, aber für mich war es sehr wichtig, die Idee des Rauschens konzeptionell zu erarbeiten. „uni asymmetric noises“ ist ein Track, den man mit Lautsprechern anhören sollte, um die Konstellation der Psycho-Akustik zu erfahren.

Ist es dir eigentlich wichtig, dass die Hörer deine Gedanken hinter den Sounds kennen?
Nein, ich freue mich, wenn es passiert, aber es ist nicht notwendig. Jeder, der sich Musik anhört, fällt relativ schnell ein Urteil darüber. Ich mag dieses nicht-intellektuelle, intuitive Reflektieren. Das ist ein großer kraftvoller Moment in der Musik. Und das soll auch so bleiben. Alva Notos neues Album univrs erscheint am 17. Oktober auf raster-noton. Schaut Ende September auf VICE.COM vorbei und erfahrt mehr über Carstens Arbeit in einer neuen Folge von The Creators Project. Foto: Kai von Rabenau