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Nahostkonflikt

Israel und Palästina tragen ihren Konflikt vor der FIFA aus

Palästina fordert von der FIFA den Ausschluss Israels. Die Israelis sagen, die Forderung wäre ein politisches Spielchen der Palästinenser. Der Konflikt wird nun beim FIFA-Kongress ausgetragen—und Sepp Blatter muss eine Entscheidung treffen.

Am 31. Januar 2014 wurden die beiden palästinensischen Jugendfußballer Jawhar Nasser Jawhar und Adam Abd al-Raouf Halabiya nach dem Training auf dem Heimweg angeschossen. Nur eine Handvoll Leute wissen, was wirklich vorgefallen ist. Soviel scheint aber festzustehen: Beiden Teenagern wurde von israelischen Sicherheitskräften in Füße und Beine geschossen. Auf Jawhar wurden gleich 10 Schüsse abgefeuert. Anschließend haben die Soldaten ihre Hunde auf die Verletzten losgelassen und sie dann noch geschlagen. Keiner von beiden wird jemals wieder Fußball spielen können. Ein Sprecher der israelischen Polizei hat erklärt, dass die Spieler zuvor dabei beobachtet worden seien, wie sie Handgranaten warfen. Die beiden Palästinenser streiten das aber ab.

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Schon kurz darauf haben sich etliche Menschen zu Wort gemeldet und einige von ihnen haben gefordert, dass sich auch die FIFA der Sache annimmt und Israel hart bestraft. Der Vorfall wurde auch beim FIFA-Kongress im letzten Juni kurz thematisiert, doch da gleichzeitig die WM in Brasilien vor der Tür stand, hatten die meisten der Delegierten keine Lust auf ein so brisantes Thema. Folglich wurde es schnell wieder fallengelassen. Doch beim diesjährigen Kongress Ende Mai soll die Sache endlich behandelt werden.

„Die Abstimmung beim kommenden FIFA-Kongress ist ein noch nie dagewesener Vorfall", so Rotem Kamer—Vorsitzender des israelischen Fußballverbands IFA—im Interview mit VICE Sports. „Fast alle wollen der Abstimmung aus dem Weg gehen."

Auslöser dieses Kommentars ist Punkt 15.1 auf der offiziellen FIFA-Agenda, der da lautet: „Antrag des palästinensischen Fußballverbands zum vorläufigen Ausschluss Israels." Die Vorwürfe gegen Israel gehen dabei weit über die Schüsse auf die beiden Jugendlichen hinaus. Israel wird zur Last gelegt, gleich gegen mehrere FIFA-Statuten verstoßen zu haben. Der gravierendste hat jedoch mit der Besetzung des Westjordanlands zu tun.

Laut des bei der FIFA eingereichten Antrages hindere die Besetzung den palästinensischen Fußballverband PFA daran, seiner Arbeit als ordentliches FIFA-Mitglied (seit 1998) nachzugehen. So würden palästinensische Spieler oft nicht zwischen dem Gazastreifen und dem Westjordanland hin und her pendeln können, was die Durchführung von Übungseinheiten oder Trainingscamps erheblich erschwere. Grund dafür ist Israels Blockade des von der Hamas kontrollierten Gazastreifens, die auf das Jahr 2007 zurückgeht. Laut Jibril Rajoub, einem ranghohen Politiker im Westjordanland und Präsident des palästinensischen Fußballverbands, habe sich die Lage seit Beginn der Blockade kontinuierlich verschlechtert.

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Der Präsident des palästinensischen Fußballverbands, Jibril Rajoub, bei einer Rede. Foto: WikiMedia Commons

„Schon vor zwei Jahren haben wir das Thema beim FIFA-Kongress angesprochen. Wir fordern, dass das Leid von palästinensischen Fußballspielern endlich aufhört", erzählte mir Rajoub am Telefon. „Der Kongress hat Blatter beauftragt, nach Israel und Palästina zu kommen und sich die Lage vor Ort anzuschauen, um eine Lösung zu finden. Blatter kam, doch die Israelis haben ihn überhaupt nicht ernst genommen und weitestgehend ignoriert."

Schon mehrfach ist es vorgekommen, dass Offizielle der FIFA und der AFC an der Einreise ins Westjordanland gehindert wurden. Zudem wird Israel vorgeworfen, die Büros des PFA verwüstet zu haben. Ein Vorwurf, den Israel von sich weist. Vielmehr habe es sich um eine harmlose Routinekontrolle gehandelt, bei der man sich lediglich die Ausweise von einigen Mitarbeitern habe zeigen lassen.

„Im letzten Jahr wurde es für palästinensische Fußballer immer schwieriger, sich zwischen Westjordanland und Gaza zu bewegen", sagt Esawi Frej, arabischstämmiger Abgeordneter im Knesset und Mitglied der linksgerichteten Meretz-Partei. Frej hat in der Vergangenheit bereits als Vermittler zwischen der israelischen Regierung und der Palästinensischen Autonomiebehörde gearbeitet. VICE Sports hat er erzählt, dass es ihn nicht überraschen würde, dass sich die Probleme zwischen dem palästinensischen Präsidenten Mahmoud Abbas und dem israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu bis auf den Sportbereich auswirken.

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Der PFA behauptet außerdem, dass bei Grenzkontrollen Ausrüstung im Wert von mehreren hunderttausend Euro unnötig lange zurückgehalten wurde, mit dem Ergebnis, dass schon etliche Spiele ausfallen mussten. Darüber hinaus wirft der PFA Israel vor, dass man FIFA-Entwicklungszuschüsse nicht direkt an Palästina weiterleitet, was den Regeln der FIFA widersprechen würde. Auch diesen Vorwurf weist der IFA von sich.

„Die Israelis schikanieren uns in einer Tour und keinen scheint es zu interessieren, dass sie dabei gegen geltende FIFA-Statuten verstoßen", so Rajoub weiter.

Israel hingehen kontert, dass es sich ausschließlich um Sicherheitsmaßnahmen handeln würde. Dass diese mehr als nötig seien, wird in der Regel am „Fall Marava" festgemacht. Im vergangenen April wurde Samah Marava, ein palästinensischer Nationalspieler, verhaftet, weil er laut Israel ein für Sportler ausgestelltes Visum dazu benutzt haben soll, um sich mit einem Mitglied der als terroristische Organisation eingestuften Kassam-Brigaden im Katar zu treffen.

Mitglieder der Kassam-Brigaden. Foto: WikiMedia Commons

Der palästinensische Verband fordert zudem, dass fünf israelische Teams nicht länger Punktspiele bestreiten dürfen, weil ihre Spieler in „illegalen Siedlungen in besetzten Gebieten" zu Hause seien.

Israel wird außerdem vorgeworfen, nichts gegen seine rassistische Fans zu unternehmen, vor allem in Bezug auf La Familia, die islamfeindlichen Ultras von Beitar Jerusalem. Die neue israelische Kultur- und Sportministerin, Miri Regev, soll bei Beitar-Heimspielen nach eigener Aussage regelmäßig in der Ostkurve stehen, dem wichtigsten Treffpunkt für La-Familia-Anhänger. „Miri Regev ist nicht unsere Sportministerin, sie ist die Ministerin von La Familia", findet Frej.

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La Familia—die islamfeindlichen Ultras von Beitar Jerusalem

Regev hat in der Vergangenheit für Aufregung gesorgt, als sie sich öffentlich dafür aussprach, dass der FC Bnei Sachnin, ein Team aus arabischen Israelis, aus der ersten israelischen Liga gekickt werden sollte, weil ein paar seiner Fans die Fahnen Palästinas geschwenkt hatten. Für Rajoub steht die Ernennung Regevs für einen deutlichen Rechtsruck in der israelischen Gesellschaft: „Rassismus wird immer mehr ein Teil ihrer Kultur. Jetzt haben die in Israel schon eine rassistische Sportministerin."

Doch auch Rajoub wird vorgeworfen, Politik und Sport auf unschöne Art und Weise miteinander zu verbinden. „Abbas wird nicht ewig an der Macht bleiben", hat mir ein ehemaliger IFA-Funktionär erzählt. „Rajoub weiß, dass er—indem er einen Ausschluss Israels fordert—eine Menge Aufmerksamkeit in den Medien erzeugt. Ich bin überzeugt davon, dass er das Thema aus politischen Motiven verfolgt."

Indes hat IFA-Geschäftsführer Kamer erklärt, warum sich sein Verband dagegen entschieden hat, in einem Gegenantrag Sanktionen gegen Palästina zu fordern: „Glauben Sie mir, wir hätten genug gegen sie in der Hand", so Kamer. „Doch wir haben uns dagegen entschlossen, weil wir uns nicht gegen den Geist des Sports richten wollten."

Wie nicht anders zu erwarten war, betont Rajoub, dass es vielmehr der PFA sei, der genau für diesen Geist des Sports eintrete.

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„Ich will der palästinensischen Sache dadurch helfen, dass ich an den Fairplay-Gedanken im Sport appelliere und dabei auf jegliche Form von Gewalt verzichten."

Raketenangriffe Israels auf Gaza aus dem Jahr 2014. Foto: WikiMedia Commons

Als VICE Sports von Rajoub wissen wollte, ob die FIFA seiner Meinung nach in den vergangenen zwei Jahren genug für eine Vermittlung zwischen beiden Seiten getan habe, wurde er außer sich vor Wut: „Ich finde, dass die Israelis die Sache mit dem Holocaust—die natürlich niemand, der bei gesundem Verstand ist, gutheißen kann—nicht länger ausnutzen sollten, um anderen dasselbe zufügen zu können! Wir Palästinenser leiden, wir werden gedemütigt. Wir sehen uns einer rassistischen Politik vonseiten Israels ausgesetzt, die sogar vor dem Sport nicht Halt macht! Ich sage: Wer uns nicht das Recht einräumt, ohne Hindernisse und Schikanen Fußball zu spielen, wird auch niemals einen eigenen, unabhängigen palästinensischen Staat neben dem Staat Israel anerkennen. Lasst uns und unsere Kinder einfach nur Fußball spielen."

Am 19. Mai war FIFA-Präsident Sepp Blatter zu Besuch in Israel, wo er Premierminister Benjamin Netanjahu traf. Im Anschluss an das Gespräch meinte Blatter, dass die Hoffnung, Palästina noch von einem Ausschluss-Votum abbringen zu können, weiterhin am Leben sei. Dennoch betont Rajoub, dass Blatter durchaus seine Meinung teilen würde, dass Israel gegen die Statuten der FIFA verstoßen habe, weswegen er auch nicht bereit sei, sich auf eine Kompromisslösung einzulassen.

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„Glauben Sie mir, wir streben eigentlich weder einen vorübergehenden noch einen dauerhaften Ausschluss Israels an", so Rajoub. „Unser wirkliches Ziel ist es, das Leiden in unserem Land zu verringern. Sobald die Israelis bereit sind, ihre Politik zu überdenken und sowohl den Staat Palästina als auch seinen Fußballverband anzuerkennen und auch Kontrollen durch neutrale Beobachter zuzulassen, finden wir ganz schnell eine andere Lösung."

Doch trotz der langen Liste an Vorwürfen steht der PFA mit seinem Vorhaben, Israel aus der FIFA auszuschließen, vor einer schwierigen Aufgabe. Denn dafür wäre erforderlich, dass mindestens die Hälfte der 208 Mitgliedsstaaten an der Abstimmung teilnimmt (Enthaltung ist zu jeder Zeit möglich) und mindestens 75 Prozent für den Antrag stimmen.

Laut eines ehemaligen IFA-Mitglieds liegt die Wahrscheinlichkeit, dass der PFA die nötigen Stimmen zusammenbekommt, „bei gleich null". Und weiter: „Es stimmt, in Afrika und Asien könnte der Vorschlag der PFA bis zu 80 Prozent Zustimmung erhalten, aber ich kann Ihnen versichern, dass 80 Prozent der anderen Mitgliedsstaaten auf unserer Seite stehen, darunter sogar Nationen wie Jordanien.

Der feine Herr Blatter. Foto: GEPA/USA TODAY Sports

Beide Seiten betreiben schon seit einiger Zeit reichlich Lobbyarbeit, auch wenn das gerne kleingeredet wird. So hat Kramer erzählt, der IFA habe bisher nur an „ein paar Verbände" Briefe geschickt. Doch die israelische Tageszeitung Haaretz hat berichtet, dass das israelische Außenministerium eine „weltweite Kampagne" gestartet habe, mit dem Ziel, die nationalen Verbände auf seine Seite zu ziehen. Dabei würde man auch nicht davor zurückschrecken, „auf palästinensische Spieler zu verweisen, die angeblich mit Terrorismus in Berührung gekommen sind, sowie Jibril Rajoub übel nachzureden."

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Der PFA hingegen hat nach eigener Aussage an alle 208 Mitgliedsstaaten einen Brief geschickt (der Brief ist unten, zusammen mit dem FIFA-Antrag, abgedruckt). Außerdem will Rajoub mit den Vorsitzenden aller sechs Kontinentalverbände gesprochen haben. Bisher sei das Feedback überwiegend positiv gewesen, so Rajoub.

Das behauptet natürlich auch Kramer: „Wir bekommen von vielen Verbänden Zustimmung, weil jeder einsieht, dass man über Themen dieser Art nicht beim FIFA-Kongress zu diskutieren hat. Wenn wir damit anfangen, wird die FIFA ganz schnell zu den Vereinten Nationen."

Der regierungskritische Abgeordnete Frej hofft indes, dass es erst gar nicht zu einer Abstimmung kommen wird. „Zum Wohle der Beziehungen zwischen Palästinensern und Israelis hoffe ich, dass man sich vorher auf eine andere Lösung einigen wird. Wir müssen dafür sorgen, dass der Sport nicht seine Rolle als Brücke zwischen den Völkern verliert."

Hier findest du den FIFA-Antrag des PFA

Hier findest du den Brief, den der PFA nach eigener Aussage an alle 208 FIFA-Mitgliedsstaaten geschickt hat