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Warum wir die Identität von Hass-Postern besser schützen, als es Facebook tut

Es gibt gute Argumente, die vollen Namen von Hasskommentatoren zu veröffentlichen. Wir haben uns trotzdem dagegen entschieden—aus mehreren Gründen.

Motherboard veröffentlicht heute eine aufgearbeitete Version jener Tabelle, die als Grundlage einer Volksverhetzungs-Klage gegen Mark Zuckerberg und andere führende Manager des sozialen Netzweks dient. Lange haben wir in der Redaktion darüber diskutiert, ob wir die Klarnamen und Profilbilder von Nutzern veröffentlichen, die auf Facebook öffentlich einsehbar gegen Flüchtlinge hetzen und massive Gewaltandrohungen auf öffentlich einsehbaren Seiten posten.

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Warum sollten wir die Identität von Usern schützen, die zu Hass und Gewalt aufstacheln und damit dezidiert in die politische Öffentlichkeit drängen? Nichts anderes tun viele von denjenigen, deren Posts der IT-Anwalt Jun in einer bei der Münchener Staatsanwaltschaft eingereichten Tabelle notiert hat.

Hier geht es zur Tabelle: 438 Gründe, warum Zuckerberg bald wegen Volksverhetzung angeklagt werden könnte

Ein Beispiel: Auf der Facebook-Seite der Huffington Post kommentiert der User Klaus V. die News-Meldung von einem erstochenen Flüchtling mit den Worten „und wieder einer weniger." Die Seite hat eine Reichweite von über 500.000 Likes, der User selbst weniger als 50 Freunde. Ein Blick auf das Profil von Klaus V. zeigt, dass er immer wieder Meldungen von Medien wie der Huffington Post oder Epoch Times kommentiert, die offensichtlich in ein eindeutig menschenfeindliches Weltbild passen. Solche politischen Kommentare machen mehr als die Hälfte seiner gesamten Kommentare aus.

„Mit einem rostigen Messer den Kopf abschneiden…, dieses wiederwertige Pack kotzt einen einfach nur noch an", schreibt Karsten Z. auf der Pinnwand des Schweizer Politikers Ignaz Bearth. Dieser trat bereits bei Pegida als Redner auf und laut Tagesanzeiger schon früher im Namen einer rechtsextremen Schweizer Partei und verzeichnet über 100.000 Likes auf seiner Seite. Bei Karsten Z. ist die Sache noch eindeutiger: Private Posts machen weniger als ein Viertel seiner Kommentare aus. Der Rest sind Beschimpfungen oder Gewaltandrohungen—wahlweise gegen Politiker, Flüchtlinge oder Pädophile. (Wir haben bei allen Posts die Rechtschreibung so übernommen wie im Original auf Facebook.)

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Es spricht einiges dafür, die vollen Namen und vielleicht sogar weitere Profil-Infos dieser Facebook-Hetzer ebenfalls öffentlich zu machen. Da wäre nicht nur das technische Argument: Diese Nutzer haben ihre Facebook-Privatsphäre so eingestellt, dass ihre Kommentare generell öffentlich einsehbar sind—wenn man die Links kennt und ein wenig klickt, gilt das sogar dann, wenn man nicht bei Facebook angemeldet ist.

Vor allem aber ist da das politische Argument: Oft suchen die Hasskommentatoren mit ihren Aussagen dezidiert ein öffentliches Forum, posten auf Seiten entsprechender Politiker oder in Bürgerwehr-Gruppen, die sich nur aus einem Zweck gegründet haben: Dem Protest gegen Flüchtlinge. Die Motivlage erinnert stark an Menschen, die bei einer öffentlichen Veranstaltung demonstrieren—genau in solch einer Situation ist es unabhängig vom Persönlichkeitsrecht des Einzelnen dezidiert erlaubt, Fotos von Demonstranten zu machen und zu veröffentlichen.

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Es ließe sich noch ein Grund finden, die Persönlichkeitsrechte der Facebook-Poster zu übergehen: Wird das Ausmaß des digitalen Hasses nicht gerade dadurch noch schlimmer, dass User meinen, auf Facebook anonym oder zumindest geschützt zu posten? Ist es nicht gerade die Tatsache, dass man als Poster in einer diffusen, unpersönlichen Masse verschwinden kann, die den Finger bei Hass-Postern lockerer sitzen lässt?

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Indem wir die Klarnamen der User schützen, räumen wir ihnen ein Stück weit jene Anonymität ein, die sie selbst auf Facebook nicht haben (vorausgesetzt sie schreiben dort unter ihrem Klarnamen). Die Verpixelung von Name und Profilbild könnte sogar zusätzlicher Ansporn sein, denn die User glauben mehr denn je, dass sie nichts zu befürchten haben—weder von Facebook (wo ihr Post möglicherweise nicht oder erst spät gelöscht wird), noch von irgendeiner Form von öffentlicher Gegenrede, die sie jenseits des Bildschirms für ihre Äußerungen kritisiert.

Wohl auch deswegen entschied sich die Bild-Zeitung im Oktober 2015 für einen anderen Ansatz und veröffentlichte mit dem „Pranger der Schande" in der Zeitung Namen und Fotos von Facebook-Hetzern. „Wer in dieser Form Hass schürt, gehört beim Namen genannt", begründete der damalige Chefredakteur, Kai Diekmann, die umstrittene Veröffentlichung damals gegenüber der Welt.

Wir haben uns anders entschieden; nennen in der von uns aufgearbeiteten Tabelle weder die ganzen Namen noch zeigen wir Profilbilder der User. Auch Volksverhetzer und Menschen, die Flüchtlinge vergasen wollen, haben selbstverständlich Persönlichkeitsrechte. Um dieses Recht zu ignorieren, braucht man gute Gründe—und die liegen hier nicht vor. Denn für unseren Artikel über die Volksverhetzungsklage, die Mark Zuckerberg für die Hasskommentare in seinem Netzwerk mit verantwortlich macht, ist es eben nicht relevant, die Namen und Gesichter der einzelnen User zu zeigen.

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Ja, wir müssen unbedingt eine noch breitere öffentliche Diskussion über Hass im Netz, das Ausmaß des Problems, die Verantwortung der Plattformen und die Aufgaben der Politik führen—aber dafür muss man nicht wissen, wie einzelne Hass-Poster mit vollem Namen heißen oder sie gar an einen öffentlichen Pranger stellen.

Ein Ausschnitt aus Tabelle | Bild: Motherboard

Die gesamte Tabelle mit allen 48 Posten steht hier als PDF zur Verfügung—inklusive Verlinkungen auf die einzelnen Posts. Auch ein Download der Datei ist über Google Drive möglich (dazu einfach rechts oben im Fenster auf den Pfeil klicken). Alle Hintergründe zur Tabelle und der Anzeige wegen Beihilfe zur Volksverhetzung finden sich hier in unserem ausführlichen Artikel zur Tabelle.

Die Diskussion um den Bild-Pranger zeigt, dass auch juristisch die Frage nach der Abwägung zwischen Persönlichkeitsrechten und öffentlichem Interesse zentral ist: Als eine Nutzerin gegen die Veröffentlichung ihres Namens und Profilbildes am „Pranger der Schande" klagte, wurde ihr Antrag vom Landgericht München zwar zunächst zurückgewiesen, in zweiter Instanz bekam sie allerdings recht.

In der Urteilsbegründung heißt es: Obwohl die Flüchtlingskrise „ein Vorgang von historisch-politischer Bedeutung" ist und ein Informationsanspruch der Öffentlichkeit besteht, über die Stimmungslage bestimmter Bevölkerungskreise zu erfahren, bestehe kein berechtigtes Interesse der Bild, die Kommentatorin kenntlich zu machen. In der ersten Instanz hieß es vom Münchener Oberlandesgericht noch, dass die „Interessen der BILD an einer Berichterstattung über das Phänomen der Facebook-Hetze gegen Flüchtlinge als zeitgeschichtliches Ereignis" überwiegen. Die Bild kündigte an, die Entscheidung nicht zu akzeptieren und juristisch weiter dagegen vorzugehen. Der Presserat hat nichts gegen den Pranger einzuwenden.

Letztlich ist die Frage nach den Persönlichkeitsrechten also auch eine Frage danach, was für eine Art von Öffentlichkeit Facebook eigentlich ist. Der Kompromiss, für den wir uns als Redaktion entschieden haben, ist daher denkbar naheliegend: Wir zeigen zwar auf unserer Website keine Informationen, die die Nutzer identifizierbar machen—aber wir setzen hinter jeden einzelnen Hasskommentar in unserer Tabelle einen Link, der direkt zum ursprünglichen Post auf Facebook führt.

Das hat mehrere Vorteile: Erstens machen wir auf diese Weise den nicht immer offensichtlichen Kontext nachvollziehbar, in dem die Nutzer ihre Posts absetzen. Zweitens sind die öffentlichen Bereiche der Facebook-Profile der Verfasser somit auffindbar—denn eine ernsthafte und ehrliche Recherche darüber, was manche Menschen dazu bringt, Beleidigungen, Rassismus oder Volksverhetzung ins Netz zu schreiben, ist dringender denn je notwendig. Eine solche Analyse allerdings muss über Namen und Profilbilder hinausgehen und persönliche Motive, Gedanken und Ideologie der Kommentatoren aus der Nähe und ausführlich beleuchten (beispielhaft sei auf diese Reportage des Falters verwiesen).

Schließlich wäre da das medientheoretische Argument: Wir spiegeln die Diskussion auf jene Plattform zurück, um die es hier eigentlich geht. Wo verläuft die Grenze zwischen Meinungsfreiheit und strafrechtlich relevanter Hetze? Welche (juristische) Verantwortung trägt ein soziales Netzwerk für die Diskussionskultur seiner Nutzer? Wie wollen wir das noch immer große Problem der Hasskommentare angehen? All das sind wichtige und noch immer ungelöste Fragen, bei denen wir als Gesellschaft dringend vorankommen müssen—und darum sollte es gehen.