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Besuchstag bei Xatar

Nach unzähligen Emails, Telefonaten und monatelangem Warten durfte ich endlich die JVA Rheinbach betreten und Xatar interviewen. So war mein Tag im Knast.

Ob man seine Musik jetzt mag oder nicht, Giwar Hajabi aka Xatar ist eindeutig der deutsche Rapper, der es mit dem Gangsterimage am genauesten nimmt. Er hat sein Lebensmotto Alles oder Nix so dermaßen auf die Spitze getrieben, dass er nicht nur sein Label danach benannt, sondern auch privat alles auf eine Karte gesetzt hat.

Für seinen großen Coup, einen Goldtransporter-Raub, bei dem Gold im Wert von 1,8 Millionen erbeutet wurde, verbüßt er mittlerweile eine achtjährige Haftstrafe in der JVA Rheinbach. Der Überfall, seine anschließende spektakuläre Flucht in den Irak oder die Geschichte, wie er einem Playboybunny in Hugh Hefners Mansion die Nase gebrochen hat—das und noch viel mehr geht auf das Konto von Giwar und das machte ihn für mich weit über die Figur Xatar hinaus spannend. Hier hat es einer ernst gemeint und jeder noch so große Gold-, PR- oder Realnessgewinn kann nicht mal annähernd rational rechtfertigen, warum jemand, der in keiner Notsituation ist, so ein Risiko eingeht.

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Seit ich also das erste Mal von Xatars Geschichte hörte, fragte ich mich immer wieder, was er mittlerweile über sich und seine Tat denkt und ob seine Knaststrafe wirklich zur Resozialisierung beiträgt. Nach unzähligen Monaten, dutzenden Emails und Telefonaten mit Giwars Betreuerin Doris Gauer bekamen wir endlich eine Drehgenehmigung. Anfang August durften wir für ein paar Stunden Giwar in der JVA besuchen, um seinen Alltag zu filmen. Dass dieser natürlich wenig mit glamourösem Gangsterleben zu tun hat, dürfte niemanden überraschen. Trotzdem war es eine ganz neue Erfahrung für mich, das erste Mal einen Knast von innen zu erleben und zu sehen, wie es sich anfühlt, wenn jeder Schritt überwacht wird und man bei wirklich jeder einzelnen Tür im ganzen Gebäude darauf warten muss, dass sie für einen aufgeschlossen wird.

Frau Gauer holte mich am Empfang ab, wo ich meinen Pass hinterlegen musste und anschließend durchsucht und abgetastet wurde. Als Besucher wird man normalerweise direkt im Anschluss an diese Prozedur in die Besuchszimmer geführt und die Gefangenen werden durch einen Tunnel hergebracht, damit sie sich kein—wenn auch noch so vages—Bild von einem eventuellen Fluchtweg einprägen können. Als Filmteam durften wir uns ausnahmsweise über den Besucherraum hinaus aufhalten. Auf dem Weg zu Giwar führte uns Frau Gauer durch unterschiedliche Trakte und öffnete ein Schloss nach dem anderen für uns, nur um es sofort hinter uns abzuschließen, während sie uns jedes Mal darauf hinwies, dass wir unter keinen Umständen den Bart ihres Schlüssels abfilmen dürften. Dieser ist genauso geheim wie die Anzahl der Türen und die genaue Architektur des Gebäudes.

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Im ersten Trakt der JVA erlebte ich auf einmal das, was ich mir die ganze Zeit von meinem Besuch im Gefängnis erwartet hatte: Gefangene brüllten irgendwas aus ihren Zellen heraus, wenn sie hinter den massiven Türen mitbekamen, dass gerade jemand vorbeiging. Und, auch wenn das jetzt ein absolutes Klischee ist, die Gefangenen, die gerade aus irgendwelchen Gründen nicht in den Zellen waren, sondern mit Wärtern zusammen durch die Gänge liefen, ließen uns schon aus der Ferne spüren, dass man hier nicht gerade oft Frauen zu sehen bekommt und schon gar nicht drei auf einmal und ohne Uniform.

Im Sonderbereich, in dem Giwar ein spezielles Antigewalttraining absolviert, herrschte plötzlich wieder eine ganz andere Atmosphäre. Die Zellen sind hier den ganzen Tag offen, überall hängen liebevoll ausgesuchte Bilder und Gemälde an der Wand, die es irgendwie gemütlich machen. Andererseits lassen die Bilder nicht gerade vermuten, dass die Gefangenen hier selbst viel bei der Auswahl mitzureden gehabt hätten. Ich fragte mich, ob es vielleicht zum sozialpädagogischen Ansatz dieser Quasi-WG von Gewalttätern gehört, für sie ein freundliches und um es stereotyp auszudrücken „weibliches" Ambiente zu erschaffen oder ob man, wenn man in seinem Leben schon so oft gezeigt hat, wozu man fähig ist, auch langsam bereit ist, so etwas wie ein nettes Zuhause insgeheim doch wertzuschätzen. Im Rahmen des Antigewalttrainings arbeiten die Täter ihre individuellen Taten in einer Gruppentherapie auf und lernen mit dem, was in ihnen die Gewalt triggert, anders umzugehen. Obwohl ich beeindruckt vom reflektierten und kritischen Umgang mit der eigenen Gewalt war, was ich in der Gruppentherapie nicht nur von Giwar zu hören bekam, frage ich mich auch heute noch, ob man sich Gewalt und die Faszination für den kriminellen Shortcut zum Reichtum wirklich komplett abgewöhnen kann.

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Am Ende war ich sogar erleichtert, dass Giwar im Interview seinen inneren Wandel inklusive der Intensivierung seines Glaubens relativ moderat beschrieb, anstatt sich als komplett gewandeltes Unschuldslamm darzustellen. Letzteres würde ich und wahrscheinlich die meisten anderen auch ihm schwer abkaufen und außerdem stünde es natürlich im krassen Widerspruch zum Output von Alles oder Nix Records. Giwars Wandlung scheint also recht dezenter Natur zu sein, aber wenn ich seinen Alltag sehe, in dem Lammfleisch aus der Dose schon ein klein wenig Freiheit und Autonomie symbolisiert, kann ich mir vorstellen, dass er sich, wenn er in ca. vier Jahren rauskommt, ganz genau überlegt, ob es wirklich so smart ist, alles auf eine Karte zu setzen. Andererseits, die Beute ist immer noch unauffindbar …

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