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Wie du dich an deinem YouTube-Kanal dumm und dämlich verdienst

Ihr wollt schon mit Anfang 20 und ohne Ausbildung mehr Geld verdienen als eure Eltern nach jahrelangem Studium? Wir auch und waren bei einem Kurs für angehende YouTube-Stars dabei.
Illustration: Katie Beasley

Trotz deines Glaubens an eine Leistungsgesellschaft, zu dem dich deine Eltern erzogen haben, haben sich YouTube-Stars mittlerweile zu echten Berühmtheiten entwickelt—mit denselben Werbeverträgen und denselben hochkarätigen Agenten wie Leute, die ihren Lebensunterhalt nicht mit Vlogs über Lippenstifte von ihrer Zwei-Zimmer-Wohnung aus verdienen. Aber was ist das Geheimnis hinter ihrem Erfolg? Wie könnte eine einfache Skeptikerin wie ich ihre „eigene Marke aufbauen" oder mit meinem leicht zu konsumierenden Content in kurzer Zeit einen Haufen Fans auf Pinterest sammeln und im Zuge dessen einfach unfassbar reich werden?

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Die Antwort ist (scheinbar) einfach: Indem man an einem Sonntagnachmittag einen Kurs belegt, der mit „Wer sagt, du könntest nicht die nächste Sensation auf YouTube werden?" beworben wird. „In einem dreistündigen Crashkurs lernst du alles, was du für den Dreh deiner Lieblings-YouTube-Videos brauchst. Eine erfolgreiche Bloggerin erklärt dir die Grundlagen—vom Content-Erstellen über den Dreh bis hin zur Bearbeitung und vieles mehr!"

Der Kurs findet über einem italienischen Restaurant in einem Einkaufszentrum in Los Angeles statt. Auf jedem Platz steht eine Flasche Rosenwasser mit der Aufschrift „Trink dich schön". Daneben liegen ein paar Notizbücher und Karten mit inspirierenden Sätzen wie „Deine Zukunft entsteht durch das, was du heute tust" und „Verfolge immer deinen Traum". In der Ecke steht ein Tisch mit Gebäck, der von allen sträflichst ignoriert wird. Eine Frau in einem nachgemachten Burberry-Poncho merkt nicht, dass das fransige Ende in ihrem Kaffee hängt.

Die anderen Teilnehmer bestehen aus einer Gruppe von Frauen um die Dreißig, die Großteil von ihnen ist zwischen Mitte 20 und Mitte 30 und ein paar Leuten mittleren Alters. Und ein Mann.

Uns wird erzählt, dass wir, wenn wir all ihre Tipps beherzigen, schon bald an dem Punkt sind, an den sich jeder angehende Teenager träumt: Der Punkt, an dem man endlich gesponserte Inhalte produzieren kann.

Eine unfassbar aufgekratzte Frau namens Tiffany schiebt einen Kinderwagen in das behelfsmäßige Klassenzimmer. Darin sitzt ihr Hund, ein Zwergspitz mit einer glitzernden Haarspange, der—wie wir bald lernen sollten—Sophia Loren heißt. „Sie ist zwar ein Hund", sagte Tiffany in die Runde. „aber sie liebt Mode."

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Unsere Lehrerin beschreibt sich selbst als „Celebrity-Stylistin", die schon jeden —„von Kristie Alley bis hin zu Jimmy Kimmel", der vor ein paar Jahren „zu YouTube gewechselt ist" und nach kurzer Zeit 130.000 Abonnenten gekommen ist—gestylt hat. „Ich hasse den Begriff ‚YouTuber'. Das klingt so jung", sagt sie uns. Sie bevorzugt den Begriff „Content Creator".

„Ich bin hier, um meine Geheimnisse eines YouTube Content Creators mit euch zu teilen—ich plaudere aus dem Nähkästchen", lässt sie uns wissen, während sie von einem anderen Content Creator mit seinem iPhone 6s gefilmt wird. Wie zu erwarten war, beginnt sie kurz darauf ihre glänzenden, glamourösen Perlen der Weisheit mit uns zu teilen. Wie:

Sei pedantisch

Wenn es darum geht, Wiedererkennungswert auf dem eigenen YouTube-Channel zu schaffen, ist Fokussierung auf Kernthemen der Schlüssel zum Erfolg. Leg deinen Fokus auf zwei oder drei Dinge wie „Design und Fashion" oder „Design und Fashion und Beauty" und bleib dabei. „Die Leute sollen nicht auf deine Seite kommen und denken: ‚Warum redet sie über Wissenschaft? Ich will Design und Fashion und Beauty!'" Welch entsetzliches Szenario. Sie will uns wirklich das Schlimmste ersparen.

Setz dich richtig in Szene

„Dezente Beleuchtung" und eine „peppige Bearbeitung" hält die Leute bei der Stange. Du drehst nicht Citizen Kane, die drehst einen Vlog zum Thema Mascara. Natürliches Licht ist ideal, aber das braucht sie nicht, weil sie sich ein „YouTube-Studio" für 264 Euro gekauft hat, dessen Herzstück das kreisförmige Diva Ring-Licht ist. „Ich weiß, das klingt wie eine Verhütungsmethode", lacht sie. „Der Name ist einfach komisch."

Vernetz dich

„Vernetzen, vernetzen, vernetzen", denn Video-Kollaborationen „haben oberste Priorität, wenn dein Kanal wachsen soll." Like und abonniere andere Kanäle—wenn größere oder bekanntere YouTuber deinen Channel liken oder kommentieren, kann dir das zu mehr Reichweite verhelfen. Wenn man wiederum ihre Videos kommentiert, sind seine Fans vielleicht auch geneigt dazu, sich deinen eigenen heißen Take über Haarpflege anzusehen.

Kollaboriere oder stirb

Wenn es um Kollaborationen geht, solltest du innerhalb der ersten 30 Sekunden einen „Call to Action" einbauen, über den du deine Zuschauer dazu animierst, eure beiden Channel zu abonnieren. In dieser Zeit ist die Aufmerksamkeit der Leute angeblich am größten. Ab der Hälfte des Videos solltest du diese Information dann wiederholen, aber organisch.

Halte den Titel kurz und knapp

„Der Titel ist so wichtig", sagt sie uns. „Die Leute lieben Titel, die auf ein Listicle hindeuten", so wie sie selbst auch. „Top 10 der schönsten Orte?", fragt sie und mimt einen potenziellen Zuschauer: „Wo ist das???" Sei unkreativ und bring es auf den Punkt. Du magst dich vielleicht über deine Wortneuschöpfungen a la „Haarcessoires" freuen, deine Zuschauer verwirrt das aber nur. Der Titel und die ersten drei Sätze der Videobeschreibung sollten identisch sein, was heißt, dass du dasselbe verdammte Statement vier Mal wiederholen solltest. Redundanz rules—vor allem weil YouTube nicht gerade für seinen Scharfsinn bekannt ist.

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Uns wird erzählt, dass wir, wenn wir all ihre Tipps beherzigen, schon bald an dem Punkt sind, an den sich jeder angehende Teenager träumt: Der Punkt, an dem man endlich gesponserte Inhalte produzieren kann. Vielleicht erscheinen wir eines Tages sogar auf der Liste der bestverdienendsten YouTube-Stars—wie im Jahr 2015 der schwedische Let's Player PewDiePie (umgerechnet 10,5 Millionen Euro), Beauty-Bloggerin Michelle Phan (ca. 2,6 Millionen Euro) oder Rhett & Link (umgerechnet 3,9 Millionen Euro), ein Comedian-Duo, das sich selbst als „Internetainers" beschreibt.

Tiffany erzählte uns von Firmen, die Geschäftsmöglichkeiten anbieten, bei denen ein YouTuber Geld oder kostenlose Produkte dafür bekommt, dass er eine Marke bewirbt. „Oh mein Gott, Leute, da gibt es so viele Unternehmen", sagte sie, während wir dasaßen und ihr dabei zusahen, wie sich durch ihr Telefon scrollte und merklich Probleme hatte, ein Beispiel zu finden. Selbst wenn wir nur ein paar tausend Abonnenten hätten, könnten wir uns an diese Firmen wenden, um ein YouTube Influencer zu werden.

Für ein Werbevideo der Online-Plattform Grapevine rotieren einige dieser „Stars" vor der Kamera und präsentieren ihre Ware (Kosmetik, Handcreme, Einwegkleidung). Bemerkenswerterweise haben alle dieselbe identische lockige Strandfrisur—mit Ausnahme einer afroamerikanischen Influencerin; bis sich rausstellt, dass es in ihrem Video darum geht, ihre natürlichen Locken in eine Strandfrisur mit Locken zu verwandeln. Dieses Video stellt das konsumfreundliche Äquivalent zu einer Porno-Compilation dar und ich hatte das Gefühl, dass ich wohl eher nicht zu denen gehören würde, die für ihren Auftritt und ihre Präsentation einer Foundation Geld bekommen würden.

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Ich beherzigte ihren Rat und meldete mich bei Grapevine an. Im Kampf um den Influencer-Content ist Grapevin einer der dicksten Fische, zumindest in den USA. Ich musste jedoch schnell feststellen, dass jemand wie ich, der weniger als 1.000 YouTube-Abonnenten hat, von der Plattform ausgeschlossen ist. (Ich habe jämmerliche 102 und laut des Kommentars einer meiner Abonnenten sollte ich mich „einfach verdammt noch mal selbst umbringen").

Meine nächste Anlaufstelle war Revfluence, der „führenden Influencer-Plattform für Marken und Agenturen", die angeblich bereits 10.000 Videokünstler und Marken verkuppelt hat—also eine Art amerikanisches Mediakraft. Ein solcher Content Creator, eine Frau namens Dani Austin, schwärmt: „Mir ist vor allem die Authentizität besonders wichtig. Ich möchte Produkte präsentieren, die mich wirklich inspirieren. Revfluence gibt mir die Möglichkeit, mich direkt mit neuen, trendigen und aufstrebenden Produkten zu connecten, um meiner Leidenschaft für Mode, Beauty und Wellness nachzukommen."

Ihre Leidenschaft, so scheint es, wird durch Verdienste im Centbereich gespeist. Revfluence hat Deals mit Unternehmen, die pro YouTube-View zwischen einem und vier Cent zahlen und zwischen fünf bis acht Cent pro View für ein eigenes Video. Wenn Marken und Produkte in Videos erwähnt werden, passiert das mit einem kurzen Hinweisen oder unter vielen anderen Produkten; ein eigenes Video ist einer einzigen Marke gewidmet und beinhaltet eine öffentliche Danksagung. Das heißt, dass jemand, der es irgendwie schafft, eine Millionen Klicks auf ein solches Videos zu bekommen, zwischen 50.000 und 80.000 Euro verdienen kann.

Grapevine ist in Bezug auf ihr Vergütungssystem weniger offen und schreibt: „Aus Diskretionsgründen können wir die durchschnittliche Summe, die wir für jede einzelne Kampagne auszahlen, nicht bekannt geben. Aber es lohnt sich."

Ich habe von der Plattform keine Angebote zugespielt bekommen. Vermutlich, weil mich alle Videos, die ich derzeit auf meinem YouTube-Kanal gepostet habe, dabei zeigen, wie ich schreie, dass 9/11 das Werk eines Insiders war.

Nachdem ich von Grapevine und Revfluence ausgeschlossen war, versuchte ich mein Glück bei IZEA, die sich mit „550k+ Creators" brüsten—von „Berühmtheiten und YouTube-Stars bis hin zu Mami-Bloggern und Instagrammern." Kurz war ich verwundert, als ich der App erlauben musste, in meinem Namen twittern und neuen Menschen folgen zu dürfen. „Wenn dieses verdammte Ding meinen unzähligen digitalen Fans und Hatern ohne meine Zustimmung sagt, dass sie Iglo-Produkte kaufen sollen, dann bring ich mich um", murmelte ich leise. Aber was tut man nicht alles für das große Geld?

IZEA war ein Reinfall. Das einzige, was mir die Plattform angeboten hat, war, dass ich über Dinge wie Amazon Fire Sticks und mittelmäßige SEO-Artikel für 80 Cent das Stück twittern könnte. Meine Selbstachtung war anscheinend nicht mehr als ein paar Cent pro Tweet wert. Vielleicht sollte ich es also doch wagen, mich in Licht und Lipgloss zu baden, und vor den Augen meiner YouTube-Abonnenten—wie meine Lehrerin vorschlug—„zur besten und sympathischsten Version meiner Selbst" zu werden. Dann, und nur dann, werde ich die Chance bekommen, die beste Markenbotschafterin zu sein, die der Tamponhersteller meines Vertrauens jemals gesehen hat.