Die Orsons auf der Insel der Jugend in Berlin
Von links nach rechts: Maeckes, Kaas (vorne), Tua (hinten) und Bartek | Foto: Shirin Siebert 
Popkultur

Die Orsons im Interview: "Scheiße, wir sind Blumentopf"

Mit 'Orsons Island' wollen Tua, Maeckes, Kaas und Bartek endgültig ihre Mainstream-Phase hinter sich lassen. Wir haben sie getroffen – auf einer Insel.

Es gibt zugegebenermaßen bessere Orte, um sich mit Allergikern zu treffen, als mitten auf einer Wiese. Allerdings haben die Orsons auch ein bisschen selbst Schuld daran, dass Bartek gegen Schluss des Gesprächs die Taschentücher ausgehen. Schließlich haben sie ihr neues Album, das am 2. August erscheint, Orsons Island genannt und es gibt in und um Berlin nicht sonderlich viele Inseln, auf denen man sich für ein thematisch passendes Interview treffen kann. Die Wahl fiel also auf die "Insel der Jugend" und die besteht eben primär aus Wiese.

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Die erste Singleauskopplung "Grille" legt nahe, dass die Orsons mit ihrem fünften Album da weitermachen, wo sie mit dem Vorgängeralbum What’s Goes aufgehört haben: querulantem Poprap, der unterhält, ohne platt zu sein. Trotzdem scheint Deutschraps erste richtige Boygroup schwermütiger geworden zu sein. Wir haben sie gefragt, warum.

VICE: Ist es manchmal schwierig, nach Phasen, in denen ihr als Solokünstler unterwegs wart, wieder auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen? Gab es irgendeinen Song auf eurem neuen Album, über den ihr euch sehr lange gestritten habt?
Bartek: Es gab einen, wo wir diskutiert haben, bis Kaas’ Nase geblutet hat: "Dear Mozart".

Maeckes: Die Idee kam von Tua und war gut, aber uns in einer gewissen Form auch zu bierzeltig. Wir wussten nicht, ob wir damit leben wollen. Die einen haben gesagt: "Ey, voll, ich glaube, das resoniert mit vielen Leuten!" Die andere Fraktion hat gesagt: "Nee, ich will nicht auf der Bühne stehen und dieses Lied performen!" Da haben wir uns die Köpfe eingehauen, bis Kaas’ Nase geblutet hat. Irgendwann hat Tua es dann nochmal komplett überarbeitet. Das war dann ein ganz anderer Entwurf, der viel dunkler ist, viel reflektierter.

Kaas: Ich fand’s voll hittig. Ich habe die andere Version auch verstanden, die ist auch cool. Aber die davor war einfach ein viel größerer Hit.

Tua: Die Version davor war nicht witziger, die war einfach nur flitzpiepiger, Digger. Die war zugespitzter und hat eine andere Haltung suggeriert. Der Song geht darum, dass wir als Musiker selbst nicht genau wissen, was wir jetzt von Autotune und dem Zeitgeist halten sollen. Ich bin froh, dass wir eine zweite Version gemacht haben, die ein bisschen zurückgeht und das auf eine coolere Art und Weise sagt.

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Maeckes: Ich habe 25 Minuten des Streitgesprächs mitgeschnitten, weil ich es so absurd fand. Am Ende habe ich den Jungs gesagt: Wollen wir das nicht einfach als unsere neue Single veröffentlichen und den Song gibt’s nie zu hören? Die Leute können sich dann nur vorstellen, um was für einen Song es gehen muss.

Kaas: [Murmelnd] Die Idee finde ich nach wie vor gut.


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VICE: Durch eure Interviews in den letzten Jahren, und jetzt zuletzt bei eurem Song "Ewigkeit im Loop", habe ich den Eindruck: Die Zeiten, bei denen die Orsons einfach nur Spaß hatten, sind vorbei. Ihr reflektiert kritisch, womit ihr bekannt geworden seid.
Tua: Ja, voll. Ich finde es sehr schön, dass jeder von uns an einem Punkt ist, an dem wir das persönlich reflektieren können. Ich habe jetzt keinen Groll mit dem Song "Horst und Monika" zum Beispiel.

VICE: Ihr rappt da über eine Transfrau unter anderem: "Er hatte genug von seim‘ Hodensack. Also hat Horst gedacht, schneid ich ihn einfach ab."
Tua: Ich fand es richtig und wichtig, sich da auch noch musikalisch und öffentlich zu entschuldigen und zu sagen: "Ich fühle mich damit nicht mehr wohl und das war nicht cool." Wir hatten uns damals, relativ kurz nachdem der Song rauskam, auch mit Monika getroffen und uns bei ihr persönlich entschuldigt. Aber so ein Song erreicht natürlich viel mehr Menschen. Das Wichtigste ist, dass man sich irgendwann gewahr wird, wo man Schwachstellen hat, wofür man nicht sensibel genug ist, damit man an sich arbeiten kann. Dadurch kommt natürlich auch eine gewisse Schwere.

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Maeckes: Sensibel ist das richtige Wort. Wir sind halt manchmal holzkopfmäßig irgendwo reingegangen. Ich finde es immer noch gut, ein Lied gegen Nazis und für offene Sexualität zu machen. Wir haben halt nicht kapiert, wie sensibel wir damit umgehen müssen. Das war nicht cool. Das dritte Album der Orsons, Das Chaos und die Ordnung, war aber auch das, wo uns so viele Leute reingeredet haben, wo wir so wenig wussten, was wir machen wollen, dass sowas entgleisen konnte. Mit dem vierten Album What’s Goes haben wir es dann wieder eingefangen. Ich bereue nichts, ich würde nur manchmal die Wortwahl ein bisschen ändern.

VICE: Ich finde es interessant, dass ihr das so offen thematisiert. Ich glaube nämlich, dass jeder Mensch, der Dinge veröffentlicht, sich irgendwann mal für Dinge schämt, die er mal gemacht hat. Man spricht eben nur nicht so gern drüber.
Tua: Das Ding ist halt: Wenn du Kunst machst und mit unter 20 anfängst, in die Öffentlichkeit zu gehen, dann wirst du auf jeden Fall Fehltritte haben. Jeder macht ja mal einen Fehler, wenn er sich ausprobiert. Ich glaube aber nicht, dass wir uns dafür schämen sollten. Was mir Leid tut, sind die Momente, in denen es moralisch schwierig wurde. Wo man wie bei "Horst und Monika" in der Wortwahl so grob daneben lag, dass man jemanden verletzt hat, der das überhaupt nicht verdient hätte.

VICE: Würdet ihr euch von anderen Personen wünschen, dass die auch mal in der Öffentlichkeit sagen würden: Das war jetzt nicht so geil?
Maeckes: Will man denn noch mehr Songs darüber hören, wie jemand irgendetwas bereut? Das ist ein rhetorisches Mittel, um davonzukommen, das in letzter Zeit sehr, sehr häufig genutzt wurde. Wie oft gehen Politiker total krass nach vorne und sagen dann: "Uh, falsch verstanden, ich bereue das so."?

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Tua: Es ist natürlich was anderes, wenn du Rechtspopulist bist und ganz genau weißt, was für Köpfe du da anzündest, wenn du etwas sagst und sofort wieder zurückruderst. Dann hast du es ja trotzdem gesagt. Natürlich sind das andere Moves, als einen Song zu machen, bei dem man sich ungewahr ist, wie dünn das Eis ist. Aber stell dir mal vor, ein Jahr lang machen alle im Deutschrap ein Album darüber, was sie alles schlecht gemacht haben. 2020, das Jahr des Bereuens. Das wäre geil!

VICE: Habt ihr euch unwohl gefühlt, als es für euch karrieremäßig so durch die Decke ging?
Tua: Ja, klar. Die Geschichte der Orsons ist es, an vier Nachmittagen bekifft und im Suff ein Punk-Statement aufzunehmen, das dann eigentlich gar nicht veröffentlichen zu wollen, und plötzlich wird daraus eine Karriere, die man so nicht vorhergesehen hat. Was besser wurde, ist einfach, dass wir uns in diesem Bandgefüge jetzt wohler fühlen. Früher dachte ich, die Orsons sind etwas, das meinem Solo-Ding etwas wegnimmt. Heute denke ich mir, dass das eine super Möglichkeit ist, ein Outlet für eine andere Art von Stimmung zu finden, die mir ja auch innewohnt. Ich glaube, so geht es uns allen. Bis auf Maeckes.

Maeckes: Ich bin jetzt der alte Tua. Ich hänge an der Tanke und saufe, während die anderen ihre komische Musik machen.

Sollen wir Songs auf Playlisten zuschnüren, nur um dann zu merken, dass das furchtbar ist und wir das gar nicht wollen?

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VICE: Das Video zur ersten Single-Auskopplung, "Grille", hat 460.000 Views auf YouTube. Andere Deutschrap-Acts schaffen innerhalb weniger Stunden eine Million Aufrufe. Ärgert euch das?
Maeckes: Wir können nur das Ding rauswerfen, mit Leuten wie dir darüber reden und dann gucken, wo sich die Musik hinträgt. Vielleicht kann man auch jemanden erschießen, geht in den Knast und dann geht das anschließend schneller. Vielleicht kann man auch den krassen Klimawandel-Satz sagen und landet damit auf irgendeiner Titelseite. Im Endeffekt liegt es aber nicht ganz in unserer Hand, wie viele Menschen wir mit dem erreichen, was wir machen.

Wir machen ein Konzeptalbum in Zeiten, in denen alle nur noch Singles machen. Damit tun wir ja auch schon etwas sehr Antizyklisches. Da würden uns bestimmt Leute raten: "Macht das anders, macht die Songs kürzer, nehmt das Drumpattern und dann kriegen wir euch da in die Playlist rein." Wir sagen aber ganz klar: Nee. Wir machen genau jetzt ein ganz geschlossenes Konzeptalbum. Das ist ein Statement.

VICE: Habt ihr manchmal Probleme damit, Dinge zu verstehen, die aktuell wahnsinnig gut im Mainstream funktionieren?
Tua: Den Wechsel vom Jugendlichen zum Berufsjugendlichen meinst du?

Bartek: Alleine schon, wie oft wir im Scherz quasi sagen, dass wir wie Blumentopf sind … Wir sind halt einfach Blumentopf! Ältere Männer.

Tua: Nein, Mann, wir sind nicht Blumentopf, Alter.

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Kaas: Nach dem letzten Album hatte ich kurz eine Phase, wo ich es nicht mehr gecheckt habe. Bartek und ich hatten zusammen mit DJ Tereza ein Soundsystem, Angst und Schrecken. Tereza hat bei unseren Auftritten nur neue Sachen aufgelegt. Ich hatte anfangs gar keine Lust, dazu zu tanzen – bis es mir dann doch irgendwann gefallen hat. Durch Tereza habe ich mir mehr Sachen angehört, irgendwann alles verstanden und dann auch voll gefühlt. Es war für mich total inspirierend zu begreifen: Wenn ich etwas nicht mehr verstehe, muss ich da reingehen und es mir anhören, recherchieren.

Tua: OK, scheiße, wir sind Blumentopf.

VICE: Musstet ihr euch das erarbeiten, jetzt gar nicht so gegenüber anderen, sondern gegenüber euch selbst, dass ihr mittlerweile sagen könnt: Wir hören uns gerne euer Feedback an, aber machen es am Schluss genau so, wie wir es für richtig halten?
Bartek: Ja.

Maeckes: Willst du das so stehen lassen?

Bartek: Ich fand’s geil. Aber sag, bitte.

Maeckes: Wir müssen uns nicht nach außen verteidigen, aber oft nach innen. Wir sind intern ja nicht immer einer Meinung. Da sagt der eine: "Hey, vielleicht sollten wir den Song drei Minuten lang machen? Und nicht die vogelmäßigsten Vogeldrums nehmen, die uns einfallen?"

Tua: Natürlich fragt man sich, ob es Sinn macht, diesen Song im Streaming-Zeitalter sieben Minuten lang zu machen. Was wird die Single? Womit kommt man ins Radio? Was bedeutet Radio überhaupt noch? Sollen wir Songs auf Playlisten zuschnüren, nur um dann zu merken, dass das furchtbar ist und wir das gar nicht wollen? Letzten Endes haben wir bei diesem Album aber auch wieder gemerkt: Unsere Kreativität lässt sich nicht in vorgefertigte Bahnen lenken. Oder zumindest nicht, ohne dass es eklig wird und wir uns damit nicht mehr wohlfühlen. Also scheiß drauf.

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