FYI.

This story is over 5 years old.

News

Die Nachhaltigkeitslüge

Warum die Menschheit in absehbarer Zeit nicht nachhaltig leben wird (wahrscheinlich).

Nicht, dass ich Unmengen von Geld hätte oder es mir leisten könnte, in irgendetwas zu investieren. Aber wenn das der Fall wäre (und immer noch genug übrig wäre, nachdem ich es für alles, das Spaß macht, ausgegeben hätte), würde ich wahrscheinlich anfangen, mir Gedanken darüber zu machen, ob ich nicht etwas Bedeutsames oder Positives mit meinem Geld machen könnte. Natürlich wäre ich dann wahrscheinlich von Gier schon so zerfressen, dass ich mir auch Gedanken darüber machen würde, ob diese Investition auch was abwirft. Zwickmühle, was? Mit solchen Problemen müssen sich Investoren tagein, tagaus herumschlagen und wahrscheinlich macht das ihr Leben zu einer fürchterlichen Hölle aus schlaflosen Nächten. Na ja, wenn sie sich über solche Dinge den Kopf zerbrechen würden. Weil in der letzten Zeit alle auf Nachhaltigkeit zu stehen scheinen, habe ich mich mit Dr. Conrad Mattern getroffen, der an der LMU München Behaviorial Finance unterrichtet und außerdem allen Finanzprodukten mit dem Etikett Nachhaltigkeit konsequent den Rücken gekehrt hat. Mehr noch, er hat sich dazu entschlossen, aus den irrationalen und emotionalen Investmententscheidungen der Menschen Profit zu ziehen, indem er genau das Gegenteil von dem macht, was die Mehrheit tut, und ausschließlich in „Sündhaftes“ investiert. Er hat einen Fond aufgesetzt, der ausschließlich Branchen und Produkte enthält, die man irgendwie mit den sieben Todsünden assoziieren kann. Das ist eben so, wenn man Marketing macht, ihr braucht Slogans und so was. Jedenfalls geht dieser Fond darüber hinaus, was der amerikanische Vice Fund schon seit Jahren mit seinem strikten Fokus auf Knarren, Casinos, Fusel und Tabak, macht und schließt also auch Dinge ein wie dekadente BMWs (Neid), H&M (Gier), Walt Disney (Faulheit, ja, das ist auch eine Sünde) und natürlich all die üblichen Verdächtigen, wie alles, das mit Sex (Kondome, kleine blaue Pillen und die nur für Mädchen) und Gewalt (Knarren, privat betriebene Gefängnisse etc.) zu tun hat. Sein „sündhafter“ Fond durchläuft gerade den Genehmigungsprozess der deutschen Aufsichtsbehörde.

Vice: Hi, Dr. Mattern, danke, dass Sie sich Zeit für mich nehmen. Also, können Sie mir erklären, warum es nicht gerade die brillanteste Idee ist, in „nachhaltige“ Dinge zu investieren?
Dr. Conrad Mattern: Eins der großen Themen, die momentan vor allem vom Marketing her in der Finanzmarktbranche sehr gepusht werden, ist das Thema Ethik und Nachhaltigkeit. Und die Art und Weise, wie sie das umsetzen, ist meiner Meinung nach vollkommener Quatsch. In fast allen ethischen oder nachhaltigen Fonds im letzten Jahr war BP enthalten. Und jetzt weiß man, was das einzige, was BP nachhaltig gemacht hat, war. Was geht also in den Leuten vor, die so was kaufen?
Die glauben, dass sie damit etwas Gutes tun und fühlen sich wohl dabei. Das verschleiert dann den Blick auf die tatsächliche Rendite. Das ist vergleichbar mit dem Fan einer Mannschaft. Wenn der ein Spiel sieht und dann zu analysieren hat, kommt er immer zu dem Ergebnis, dass seine Mannschaft eigentlich viel besser war oder hätte gewinnen müssen, selbst wenn das nicht der Fall ist. Die Leute werfen also all dieses Geld zum Fenster raus, nur weil sie sich besser fühlen, wenn „nachhaltig“ draufsteht?
Anleger sind im Allgemeinen sehr oft sehr irrational und machen immer wieder die gleichen Fehler—und das tun sie systematisch, sodass man das auch ausnutzen kann. Untersuchungen zeigen, dass im Durchschnitt scheinbar nachhaltige Produkte insgesamt keine höheren Renditen als ihre einzelnen Bestandteile rausholen. Das Thema Nachhaltigkeit ist im engeren Sinne eng umgrenzt. Somit gibt es ein Klumpenrisiko, wenn Sie nur in die Bereiche alternativer Energien investieren. Wenn also eine dieser Branchen den Bach runtergeht, dann verliert man alles, und diejenigen, die es nicht so eng sehen, kaufen einfach diese allgemeinen Fonds, die dann Unternehmen wie BP unterstützen?
Ich habe mal den Vergleich gemacht und den MSCI WORLD Index mit dem Dow Jones Sustainability Index verglichen. Der Unterschied ist nahezu nicht ersichtlich. D. h. da wird den Leuten was vorgegaukelt, dass sie was Nachhaltiges haben, aber de facto investieren sie in genau die gleichen Aktien wie alle anderen Indizes auch. Aber denken Sie nicht, dass es aus irgendeinem Lasst-uns-die-Welt-zu-einem-besseren-Ort-machen-Gedanken heraus Sinn macht, in Solar- und Windenergie zu investieren? Denken Sie, dass die Regierung vielleicht so denkt und deshalb so lax ist, wenn es darum geht, diese unprofitablen Produkte zu genehmigen?
Ich glaube nicht, dass ein Staat da übermäßig großes Interesse dran hat. Alkohol, Tabak und Glücksspiel—das sind ja auch drei Bereiche, wo der Staat extrem gut mitverdient. Was ist mit Ihnen, denken Sie nicht vielleicht, dass es trotzdem irgendwie Sinn macht?
Aber auch kurzfristig ist die Frage, ob es energiepolitisch wirklich so sinnvoll ist. Die Kapazität an zusätzlichen Kraftwerken fehlt, die theoretisch einspringen können, wenn die Sonnenenergie ausfällt. Das wird in der Regel nicht berücksichtigt. OK, aber jetzt mal rein theoretisch, wenn mehr und mehr Investoren in Solar- und Windenergie investieren würden, wäre das nicht gut für uns alle?
In Deutschland gibt es ja neben der Subventionierung dieser alternativen Energie die Vorschrift, dass, wenn sie CO2 produzieren, das nur in bestimmten Mengen machen. Wenn jemand weniger verbraucht, als er darf, kann er dieses Zertifikat an jemanden weiterverkaufen, der mehr CO2 produziert. Die deutschen Energieversorger sind aber gleichzeitig verpflichtet, in unbegrenzten Mengen Strom zu kaufen, der mit Sonnenenergie erzeugt wird. Also haben sie auf der einen Seite die Subvention der Solarkollektoren und auf der anderen Seite die Energieerzeuger, die das kaufen müssen. Wenn sie das kaufen, dann müssen sie das, was sie mithilfe von Sonnenenergie gekauft haben, nicht selber produzieren und erzeugen weniger CO2 und haben deswegen Zertifikate übrig, die sie an irgendwelche Umweltsünder weiterverkaufen können, die dann damit weiterhin ihre Umwelt verschmutzen, d. h. de facto haben sie da gar nichts mit gewonnen. Nur Subventionsgelder rausgeschmissen und richtig was für die Umwelt haben sie auch nicht getan. Das zeigt, dass es einfach schwierig ist, zu sagen, ob etwas wirklich nachhaltig ist. Haben Sie noch mehr Beispiele für mich?
Es gibt zwei Arten, auf die Sonnenkollektoren hergestellt werden, die eine basiert auf einer Silizium-Technologie und die andere auf einer Cadmium-Technologie. Cadmium ist ein Schwermetall, so wie Quecksilber, d. h. wenn dann in 10, 15 oder wie viel Jahren auch immer, diese Sonnenkollektoren abgebaut werden müssen, weil sie nicht mehr funktionieren, dann haben sie ein riesiges Sondermüllproblem. Also gibt es so etwas wie wahre Nachhaltigkeit noch nicht?
Wahre Nachhaltigkeit muss eine nachhaltige Rendite erzielen, mit der man dann auch etwas Gutes machen kann. Die sogenannten nachhaltigen Strategien schauen nur auf das vordergründig Nachhaltige und lassen die Renditeüberlegungen außen vor.

Denken Sie, das Konzept der Nachhaltigkeit ist eine Lüge oder ein Marketingtrick?
Um es noch mal klar zu machen: Nachhaltigkeit als gesellschaftspolitisches Thema ist extrem wichtig. Man sollte das nur nicht als Richtlinie für eine Investmentstrategie verwenden. Als Lüge will ich das dabei nicht bezeichnen, aber eindeutig als Marketingtrick. OK, also warum sind Ihre sogenannten „sündhaften“ Investments dann so profitabel?
Viele Bereiche der sündhaften Investments laufen einfach gut. Die Kirche versucht seit Jahrhunderten, die Sünde irgendwie zu bekämpfen, und schafft es nicht, und das zeigt, dass die typischen Verhaltensweisen der Menschen sich immer wieder durchsetzen. Apropos Kirche, hatten Sie irgendwelche Probleme wegen dieser Sündensache?
In Luxemburg werden wir sozusagen als Staatsfeind angesehen, weil wir, wenn wir das in Luxemburg gemacht hätten, den Ruf vom Luxenburger Finanzplatz nachhaltig geschädigt hätten. Die meisten sind erst mal abgeschreckt und sagen, sie wollen nichts damit zu tun haben, ohne sich zu überlegen, ob das wirklich böse ist. Gäbe es denn etwas, das sogar Ihnen zu böse wäre, um da hineinzuinvestieren?
Die einzigen beiden Bereiche, die ich bisher gefunden habe, wo ich noch nichts Positives dran finden konnte, ist einmal Kinderarbeit und einmal so was wie Streubomben und Tellerminen. Meiner Meinung nach ist das keine Todsünde, sondern wirklich eine Schweinerei und in Schweinereien investieren wir nicht. Wie steht es mit Pornografie?
Es gibt keine börsennotierten Pornoindustrieunternehmen. Haben Sie keine Angst vor grundlegenden kulturellen Veränderungen? Dass die Leute aufhören zu rauchen? Ein generelles Rauchverbot?
Welches Rauchverbot? Das Rauchverbot hier in Deutschland? Das ist doch relativ lächerlich. Natürlich wird in Deutschland weniger geraucht, aber in Asien wird immer mehr geraucht. Wenn Sie es global sehen, dann ist das Risiko relativ überschaubar. Dass jetzt auf einmal die Leute umdenken und anfangen sich kollektiv zu lauter Gutmenschen zu entwickeln, glaube ich nicht. Können Sie erklären, warum die angeblich nachhaltigen Fonds oder Firmen in der Regel so viel schlechter abschneiden, als die „bösen“?
Das hat einige Gründe. Die Rendite nachhaltiger Investments ergibt sich teilweise auch in Form eines Öffentlichen Gutes, z. B. kommt weniger Schadstoffemission der Allgemeinheit zugute. Dieser Teil der Rendite fließt dann nicht den Investoren zu. Viele „sündhafte“ Unternehmen sind konjunkturunabhängig und profitieren von Oligopolrenditen und Marktineffizienzen. Analysten schauen sich diese Unternehmen nicht so genau an wie die, die gerade in Mode sind. Das bezeichnet man dann als Neglect-Effekt. Die geringe Nachfrage führt dann zu einem sehr attraktiven Bewertungsniveau, was sich in der profitablen Rendite einer sündhaften Strategie bemerkbar macht.

Die einem aber nur zugute kommt, wenn die Mehrheit der Leute sich weiterhin weigert, ihr irrationales Verhalten über Bord zu werfen, richtig? Denken Sie denn, dass die Menschheit es irgendwann auf die Reihe bekommen wird, nachhaltig zu leben?
Wie zuvor schon gesagt. Nachhaltigkeit ist ein sehr wichtiges Thema für die Gesellschaft. Aber weil die Erträge häufig der Allgemeinheit zukommen, die Kosten aber Individuen, wird es wohl noch lange dauern, bis die Menschen das Thema wirklich umsetzen. Und viele Emerging Markets haben zudem gar nicht das Kapital, so eine Strategie umzusetzen.
 
OK, eine letzte Frage. Wie, denken Sie, wird sich die Japan-Katastrophe auf den Finanzmarkt auswirken?
Das sieht man ja schon. Die Aktien von Solarherstellern sind nach oben geschossen, Versorger mit ihren Kraftwerken haben stark verloren. Das ist die von der Behavioral Finance beschriebene Verfügbarkeitsheuristik, nach der Menschen eine Einschätzung vor allem daran festmachen, ob ihnen ein typisches Beispiel vor ihrem geistigen Auge verfügbar ist oder nicht. Typisches Beispiel hierfür ist die Einschätzung zur Gefährlichkeit von Flügen, die sich im Zeitablauf nicht ändert, die Einschätzung dagegen sehr wohl—je nachdem, wie lange der letzte Flugzeugabsturz zurückliegt. Aber auch das legt sich wieder, schauen Sie sich nur das Konsumverhalten in Bezug auf die Nachfrage nach Hühnereiern an. Fragt da heute noch jemand nach einer Verunreinigung?
 
Wohl kaum.

VON BARBARA DABROWSKA,
ILLUSTRATIONEN VON MILANO CHOW, PORTRÄT MARTIN FENGEL