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11-Jährige verprügeln in New Orleans Künstler und Schwule auf offener Straße

„Ach stimmt“, sagte Martin, „Eric hat mal eine Leiche in unserem Vorgarten gefunden.“

Alle Fotos: sofern nicht anders angegeben von Michael Winters

Gerade war die Dunkelheit hereingebrochen und der 56-jährige Michael Martin war auf dem Weg zu seinem Zuhause im Stadtteil Marigny von New Orleans, nachdem er einem Freund beim Umzug geholfen hatte. Zu dieser Zeit kümmerte sich Martin um seine an Demenz erkrankte Mutter und beeilte sich, nach Hause zu kommen, da sein langjähriger Partner Eric Webb allein mit ihr war.

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„Ich ging durch eine Gegend, von der ich nicht denke, dass nachts viele Anwohner unterwegs sind“, sagte Martin.

Als er sich einer Straßenüberführung näherte—die Grenze zwischen den Stadtteilen St. Roch und Marigny—hörte Martin eine Gruppe Kinder lachen, seiner Meinung nach waren diese nicht älter als 13 Jahre. Es war gerade Sommer und deswegen dachte er sich trotz der Dunkelheit nichts bei den umherziehenden jungen Schülern. Dann wurde er von hinten angegriffen.

Er wurde auf den Boden geworfen und die Kinder schlugen und traten auf Martins Kopf und Brustkorb ein. Am Ende setzte sich eins von den Kids auf ihn und würgte ihn, bis er ohnmächtig wurde.

Martin bezeichnet den Angriff nur zögerlich als „Hate Crime“, aber er denkt, dass die gerade in St. Roch und Marigny stattfindende Gentrifizierung etwas mit Überfall zu tun haben könnte.

Foto: Mason Miller

„Diese Gegend ist dem großen Druck der Gentrifizierung ausgesetzt“, sagte Martin. „Ich meine, schwul sein ist ein Bonus … Wenn du die Gentrifizierung nicht magst, dann magst du bestimmt auch keine alten, weißen Schwuchteln.“

Martin ist ein berühmter Schauspieler und Regisseur aus New Orleans Theaterszene und ihm und seinem festen Freund Webb ist in ihrer Wohngegend Marigny schon viel Gewalt widerfahren. Sie leben dort bereits seit über zehn Jahren.

„Eric und ich wurden von einem jungen Mann auf einem Fahrrad mit einer Waffe bedroht“, fing Martin an.

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„Da waren wir auf dem Weg zu einer Vorstellung von Harry Potter. Mir wurde 2002 bei einem Angriff im French Quarter mit einer Eisenstange der Arm gebrochen. Hier ist auch schon mal jemand auf der Suche nach Drogengeld eingebrochen“, sagte er. „Der Wichser ist durch das Badfenster eingestiegen.“

„Gibt’s noch mehr, Schatz?“, fragte Martin und blickt zu Webb.

„Ach stimmt“, sagte Martin, „Eric hat mal eine Leiche in unserem Vorgarten gefunden.“

Obwohl die Gentrifizierung in diesen beiden Stadtvierteln—südlich des French Quarters und am Mississippi River liegend—mit großen Schritten vorangeht, so sind sie immer noch zwei der kriminellsten und gewalttätigsten Orte der USA.

Erst letztes Wochenende wurden zwei junge Mädchen bei einem Drive-By-Shooting getötet. Dabei wurden noch fünf andere Personen verletzt (darunter auch zwei Kleinkinder im Alter von 2 und 4) und das Ganze passierte nur ein paar Blocks entfernt vom Ort des Übergriffs auf Martin. Bis zum jetzigen Zeitpunkt sind in und um St. Roch und Marigny herum dieses Jahr schon 24 Morde passiert—14 davon seit Juni. Der wohl Traurigste davon war der Tod der 59 Jahre alten Brenda Hal , die von einer verirrten Kugel ins Genick getroffen wurde, als sie im Haus einer Freundin Karten spielte.

In einer Gemeinde, in der Zerstörung, Drogensucht und Schießereien vorherrschen, sind die Anwohner jetzt besorgter als je zuvor. Nach einem Sommer voller Gewalt und Blut scheinen die Kinder dieser Gegenden (einige davon erst 11 Jahre alt) ihren Frust bedauernswerter- und überraschenderweise an den Künstlern und Schwulen auszulassen.

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Der Installationskünstler Bill Murphy war das zweite Opfer eines Angriffs. Er befand sich ebenfalls auf dem Nachhauseweg, als er von hinten niedergeschlagen wurde. Murphy wurde dann, ähnlich wie Martin, von acht Kindern getreten und verprügelt.

„Ich erinnere mich kaum an etwas“, sagte Murphy. „Aber als ich am nächsten Tag aufwachte, waren auf meiner Stirn Sneaker-Abdrücke zu sehen.“

Nach dem Angriff sind die Sneaker-Abdrücke immer noch sichtbar. Foto: Bill Murphy

Murphy ist befreundet mit Tysean Riles, einem 21-jährigen Künstlerkollegen aus New Orleans, der früher auch mal ein streitsuchender Teenager war.

Riles glaubt, dass diese Kinder sich jetzt nicht unbedingt auf eine bestimmte Bevölkerungsgruppe eingeschossen haben. Er sagt aber auch, dass es bei älteren weißen Männern unwahrscheinlicher ist, dass „sie eine Knarre dabei haben“, vor allem wenn sie eine feminine Gangart an sich haben.

„Den Kids ist langweilig. Dann sehen sie einen alten Weißen komisch laufen oder so und wollen ihn verprügeln“, sagte Riles. „Wenn sie dich als schwach einschätzen, dann legen sie sich mit dir an.“
Die hinter den Angriffen steckenden Kindern—viele von ihnen gehen laut Riles auf eine Schule gegenüber von Murphys Haus—brauchen eine Orientierungshilfe und einen Betreuer, koste es, was es wolle.

„Die Gemeinde muss sich dieser Kinder annehmen. Wir brauchen Computerräume in den Schulen oder Basketballmannschaften“, sagte Riles. „Weiße Mädels sollen den schwarzen Kindern bei den Hausaufgaben helfen—Hauptsache irgendwas.“

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„Ich glaube, dass das funktioniert. Ich lebe hier jetzt schon lange genug, um zu sehen, dass es geklappt hat. So war es bei mir und meinen Freunden“, sagte Riles. „Aber wenn diese Hilfe aufhört, werden wieder Leute sterben, weil dann auch die Langweile zurückkommt.“

Riles wurde mit 14 Jahren vor einer schlimmen Zukunft bewahrt, als er mit Installations-Kunstprojekten in Berührung kam und damit begann, mit den Künstlern in seiner Gemeinde zu arbeiten. Er ließ die Einbruchsversuche sein und konzentrierte sich ausschließlich auf seine Kunst und die Tierpflege. Die Leute aus seiner Gegend nennen ihn jetzt „Safari Man“.

Er zog eine Ziegenherde, einen Leguan, Schlangen und ein Hängebauchschwein groß und kümmert sich gerade um zwei Shetland-Ponys, die er hinter Murphys Haus hält.

Ein kürzliches Treffen der Nachbarschaftsvereinigung zur Förderung der Gewaltfreiheit in St. Roch Bei dieser Serie von Angriffen ist Christopher Brumfield das neueste und auch das am schlimmsten zusammengerichtete Opfer.

Wie es der Zufall so will, befand er sich gerade auf dem Weg zu einer Roots-of-Music-Benefizveranstaltung, eine örtliche Wohltätigkeitsorganisation, die gefährdeten Jugendlichen mit persönlicher Betreuung und musikalischer Bildung hilft. Und Brumfield hat selbst schon jahrelang mit Grundschul- und High-School-Schülern aus der Gegend zusammengearbeitet—er war ein Kunst- und Keramiklehrer beim inzwischen nicht mehr existierenden Recovery School District.

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Wie bei den anderen beiden Fällen auch war es schon finster, als Brumfield eine Gruppe Kinder lachen hörte. Ihm wurde aber erst klar, in welchen Schwierigkeiten er steckte, als er die Baseballschläger und langen Holzstöcke in den Händen der knapp 12 Schüler sah.

„Zum Glück habe ich aufgepasst und konnte zuerst fliehen“, sagte Brumfield. „Aber als sie mich dann erwischten, musste ich auf die Straße kriechen, um zu entkommen. Dabei wurde ich die ganze Zeit geschlagen.“

Brumfields Hosen wurden runtergerissen, um ihn zu entmannen. Seine Beine und sein Kopf wurden von den Teenagern mit Tritten malträtiert und er wurde mit Knüppeln geschlagen. Bevor er attackiert wurde, konnte Brumfield sogar noch einige ehemalige Schüler von ihm erkennen, die auf seiner Grundschule gewesen waren und jetzt den Angriff verübten. Um zu entkommen, musste er auf die Straße in den Gegenverkehr kriechen und selbst da ließen die Kinder erst von ihm ab, als ihnen ein Auto entgegen kam. 
Selbst Wochen nach der Attacke litt Brumfield immer noch an schlimmen Kopfschmerzen und dem seelischen Schock; er ist auch vorerst zu seiner Familie nach Baton Rouge gezogen. Er will diese Kinder allerdings nicht als hoffnungslose Fälle abschreiben und denkt, dass Armut und systematische Vernachlässigung zu dieser Eskalation der Gewalt geführt hat.

„Das echte Problem liegt darin, dass wir die Kinder in ganz New Orleans im Stich lassen. Wir lassen sie sozial und bildungstechnisch völlig im Stich“, sagte Brumfield. „Ich sehe wieder, wie die Kids dieser Stadt nicht das bekommen, was sie brauchen. Die Armut und Mittellosigkeit der Kinder und der Familien spielt hier eine große Rolle.“

Im Zusammenhang mit den Angriffen hat die Polizei niemanden verhaftet.