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Christliche Propaganda in Jugendbüchern — vom Teenager zum Gotteskrieger

Lust auf Gehirnwäsche? Das Christentum lässt nichts unversucht, um neue Anhänger zu rekrutieren.

Foto: chris m. | Flickr | CC BY 2.0

Ach, das Christentum hat es schon schwer. Seit Tausenden Jahren im Religions-Game, basierend auf einem Buch, das seit geraumer Zeit einen Reboot vertragen könnte—kein Wunder, dass einer der größten Religionen der Welt so langsam der Nachwuchs ausgeht. Oder genauer: der junge, hippe Digital-Native-Nachwuchs mit ausgeprägtem Konsumverhalten und offener Zukunft, auf den die komplette Wirtschaft so richtig geil ist. Das grundlegende Problem ist dabei noch nicht mal, dass Kreuzzüge, Hexenverbrennung und Schwulenhass im 21. Jahrhundert einfach keine sexy Themen mehr sind. Viel mehr fehlt es den verstaubten Gemeinden an der richtigen, zielgruppengerechten Ansprache.

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Weil wir alle wissen, dass die junge Generation nichts lieber tut, als zu lesen, hat sich die Kirche dazu entschieden, das Wort Gottes durch freche Jugendbücher mit frischen Themen unters jugendliche Volk zu bringen. Ganz vorne dabei bei der großen Literaturoffensive ist der Verlag Gerth Medien, der das Opus Dei größtenteils US-amerikanischer Autoren in Deutschland verlegt. Ich bin mir unsicher, ob es an der Sprachbarriere liegt, Christen einfach keine Ahnung davon haben, was „Teens“ voll cool finden, oder auch Religionen dem alten Muster der deutschen Filmbranche verfallen sind, sich bewusst für denglische Scheißtitel zu entscheiden. Irgendeine Art von christlichem Konsens muss es bei Titeln wie Hotline nach oben: Storys für Teens, E-Mail von Gott für Teens oder Chillen mit Jesus: Wahre Storys für Teens aber geben.

Diese Storys—oder auch „wahren“ Storys—scheinen ganz oben auf der Liste christlicher Propagandamaßnahmen zu stehen, sind dafür aber überraschend unspektakulär. Offensichtlich fiktive Jugendliche erzählen Geschichten, in denen sie Nächstenliebe zeigen und anderen Menschen den rechten Weg weisen. Meine Lieblingsgeschichte in diesem Sektor stammt dabei aus Hotline nach oben. Ein 13-Jähriger kauft von seinem Geld Kleidung für obdachlose Teenager, anstatt sich zur Weihnachtszeit die langersehnten „coolen Klamotten“ oder ein Videospiel zu gönnen. Ich bin seit 12 Jahren nicht mehr 13, glaube aber trotzdem, einen relativ guten Einblick in die Gedankenwelt eines Teenagers zu haben. Zum Einen fühlt sich niemand in diesem Alter „reich beschenkt“, weil er anderen rebellierenden Kindern Sachen kauft, zum anderen: Wie viel Taschengeld bekommt man bitte als Brut eines Hardcore-Religiösen? Ich war in dem Alter froh, wenn ich mir einmal im Monat eine CD kaufen konnte.

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Warum sie so glücklich sind? Weil sie Gott gefunden haben! Foto: Eddy Van 3000 | Flickr | CC BY-SA 2.0

Relativ enttäuscht war ich ehrlich gesagt von Happy Hour mit Jesus: Wahre Storys für Teens. Der Titel, das Cover, auf dem Cocktailschirmen und Strohhalm in einer Bibel steckten—selbst der Beschreibungstext klang fantastisch: „Abhängen, Freunde treffen, einen Cocktail zum halben Preis trinken (alkoholfrei natürlich!)—und, das Wichtigste: mehr zu bekommen als sonst? Hast du schon mal daran gedacht, dass auch Jesus Fan einer Happy Hour war?” Entgegen meiner Erwartungen gab es aber erneut nur denselben Einheitsbrei á la „Spät erkannte Schutzengel“ und „Blind und trotzdem glücklich“. Außerdem erscheint es mir ziemlich fragwürdig, dass ausgerechnet der Messias, der zu seiner Wirkungszeit harte Props dafür bekommen hat, Wasser in Wein zu verwandeln, einen alkoholfreien Cocktail bestellt hätte.

Natürlich sind die unter kessen Titeln vertriebenen Kurzgeschichten nicht die Spitze des kirchlichen Jugend-Takeovers. Warum auf vermeintlicher Augenhöhe—von Teen zu Teen—durch die Blume sprechen, wenn man seine Agenda auch als höhergestellter, fast möchte ich sagen „göttlicher“, Erklärbär, in einem Ratgeberbuch verbreiten kann? Die Inhalte dieser literarischen Machwerke sind sehr breit gefächert und reichen von allgemeinen Ratschlägen zum Leben, über Anleitungen zum Beten bis hin zu Aufklärungsbüchern. Während in letzteren mitunter dreist gelogen wird („HIV-Erreger sind so klein, dass sie das Kondom durchdringen können”), geben sich gerade die Bibelvers-Sammlungen betont locker. Voll in die Birne: 52 Powerandachten für Hirn & Herz erinnert nicht nur vom Titel her an den gezwungen jugendlichen Onkel mit Alkoholproblem, den man nur als Grundschüler irgendwie cool fand. Auch inhaltlich ist hier vor allem die Frage „Was würde Jesus tun?“ omnipräsent. Ich würde mich nicht als sonderlich religionsaffin bezeichnen, aber bei dieser einen Sache bin selbst ich mir sicher: Wenn ich der Messias wäre und Wasser in Wein verwandeln könnte, würde ich lieber betrunken mit Maria Magdalena und den Aussätzigen abhängen, als dieses lahme Buch zu lesen.

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Während die meisten der Schinken auf ihre verkrampft jugendliche Art noch irgendwie lustig sind, verbirgt sich bei manchen Werken hinter den bunten Covern derart fragwürdige Propaganda, dass es einem eiskalt den Rücken runterläuft. Kyle Idleman, seines Zeichens psychotisch grinsender Pastor mit Gelfrisur, hat mit not a fan.—Vom Bewunderer zum Nachfolger ein Buch geschrieben, auf dessen instrumentalisierende und radikalisierende Prosa selbst katholische Hardliner neidisch sein dürften. In einem offiziellen Video zum Release beschreibt sich der Autor als jemand, der von Kindesbeinen an nicht nur wie Star-Basketballer Michael Jordan, sondern auch wie Jesus sein wollte und sogar Poster des Messias in seinem Zimmer hängen hatte. „Ich dachte, das reicht für’s Erste“, sagt er mit schiefem Lächeln. Spoiler Alert: Natürlich reicht es nicht. Wer sich nicht selbst verleugnet und bereit ist, ALLES für seinen Glauben zu tun, ist kein richtiger Christ.

Weil sich das Buch im englischsprachigen Raum über eine Million Mal verkauft hat, wurde es nochmals neu aufgelegt—speziell „für teens“. Und auch wenn die Lese-Preview vergleichsweise zahm wirkt, hat mich die Inhaltsangabe des Titels auf der Gerth-Website wirklich schockiert. Neben dem schreiend roten Cover—rot wie das Blut Jesu—steht allen Ernstes: „Bist du ein Fan von Jesus? Findest du ihn cool? Würdest du ein Poster von ihm neben dem von deiner Lieblingsband aufhängen? Super, wenn Jesus in deinem Leben eine Rolle spielt. Aber hast du schon einmal darüber nachgedacht, dass Jesus gar keine Fans braucht? Immer wieder hat er den Menschen gesagt: ‚Folge mir nach!’ Nicht: ‚Ich will, dass ihr begeistert von mir seid.’ Begeisterung reicht nicht. Er will dich nicht auf der Zuschauerbank, sondern auf dem Spielfeld. Er will, dass du ihm radikal nachfolgst.“

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Ja, das will Jesus. Foto: John Nakamura Remy | Flickr | CC BY-SA 2.0

Bedenkt man, dass schon die Einleitung des Buchs, in dem der Umgang mit Jesus anhand eines Dates erklärt wird, klar darauf schließen lässt, dass man sich hier an deutlich ältere Teenager richten möchte, ergibt die komplette Palette der christlichen Jugendbücher plötzlich auf gruselige Art und Weise erstaunlich viel Sinn. Erst wirst du zu Beginn der Pubertät mit dreisten Lügen über Sexualität und menschliche Beziehungen zu einer in Angst lebenden Person gemacht, die sich vor allem außerhalb der christlichen Gemeinde fürchtet (denn alle haben—trotz Safer Sex—AIDS). Dann wird dir mit erfundenen Alltagsgeschichten über Nächstenliebe und den korrekten Umgang in sozialen Situationen das Hirn weich geklopft und die ideale Freizeitgestaltung auf Dinge wie „schreibe deinen Eltern einen Dankesbrief“ (Pimp Your Life: 99 Dinge, die du unbedingt mal tun solltest) reduziert. Und wenn dir im Leben irgendwann nichts anderes mehr bleibt als Jesus, dein Erlöser und Retter, bist du endlich dazu bereit, dich zum kompromisslosen Gotteskämpfer ausbilden zu lassen.

Ich hoffe wirklich inständig, dass nach unserer IS-Berichterstattung in naher Zukunft nicht auch noch eine Reportage über einen Christlichen Staat (wobei sich CS schnell mit Cybersex verwechseln ließe) drehen müssen. Nach all der christlichen Propaganda empfehle ich euch in jedem Fall erst einmal einen Cocktail (natürlich nicht alkoholfrei).

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