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Nach den Morden von Kanada meldet sich der IS zu Wort

Obwohl die kanadischen Behörden noch damit beschäftigt sind, die Hintergründe zu erforschen, wird der vermeintliche Mörder von Montreal in den sozialen Netzwerken schon von Extremisten verehrt.

Fotos von Martin Rouleau, a.ka. Ahmad the Converted, via Facebook

Auch wenn sich der kanadische Premierminister Stephen Harper in Bezug auf die Einzelheiten zum „mutmaßlichen Terroranschlag“ in Montreal weiterhin bedeckt hält, haben kanadische Online-Dschihadisten, die sich momentan in Syrien oder dem Irak befinden, den mutmaßlichen Täter schon zum Märtyrer erklärt.

Martin Rouleau—oder Ahmad LeConverti (Ahmad der Konvertit), wie er sich selber nannte—hatte in der Nähe eines Stützpunktes im Süden Montreals zwei Soldaten überfahren und wurde dann nach einer Verfolgungsjagd von der Polizei erschossen. Einer der Soldaten erlag im Krankenhaus seinen Verletzungen, der andere befindet sich weiterhin in einem kritischen Zustand.

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Auch wenn das Büro des Premierministers verlauten ließ, dass Rouleau „radikalisiert worden war“, hat die Royal Canadian Mounted Police (RCMP) bislang keine weiteren Details bekanntgegeben, die Rouleau mit irgendeiner Gruppierung islamischer Extremisten in Verbindung bringen. Allerdings bestätigte die RCMP, dass er einer von 90 Kanadiern war, die aufgrund potentieller Terroraktivitäten überwacht werden.

Trotzdem zögerten die kanadischen Kämpfer des IS nicht damit, umgehend ihre Glückwünsche an den Quebecer zu tweeten.

Bei Abu Khalid Al-Kanadai handelt es sich aller Wahrscheinlichkeit nach um einen kanadischen Dschihadisten in Syrien, der es mit seinem Online Alter Ego zu einiger Bekanntheit gebracht hat. Letzte Woche, nachdem Premierminister Harper die formelle Entscheidung traf, das militärische Engagement im Irak zu verstärken, postete der mutmaßlich aus Toronto stammende Mann Nachrichten, in denen er zu Angriffen auf Kanadier aufrief.

„Mein Anliegen ist klar. Kanada hat mit Angriffen auf den Islamischen Staat begonnen, also, Muslime in Kanada, schlagt zurück und TÖTET SIE, WO IMMER IHR KÖNNT“, schrieb er in einem Tweet (sein Account ist inzwischen stillgelegt).

Es war absehbar, dass die geplanten Luftangriffe gegen den Islamischen Staat bei den Kämpfern vor Ort nicht gut ankommen würden, und Extremisten wie al-Kanadi nehmen diese nun als Rechtfertigung für Terroranschläge auf kanadischem Boden.

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„Kanada schickt Kampfjets und Truppen in muslimische Länder und tötet unsere Leute. Denkt ihr nicht, dass die Muslime zurückschlagen werden?“, schrieb er in seinem letzten Tweet.

Ein anderer Kämpfer, namens Muthanna al-Kanadi, bei dem es sich wahrscheinlich um Ahmed Waseem aus dem kanadischen Städtchen Windsor handelt, verteidigt den mutmaßlichen Anschlag mit den gleichen Argumenten und begründet zu erwartende Vergeltungsanschläge mit dem neuen kanadischen Kriegseinsatz im Irak.

Die offizielle Bestätigung steht zwar noch aus, aber es scheint so, als hätte Rouleau seinen eigenen Twitter-Account gehabt, den er vielleicht im Vorfeld zu seinem bekanntgewordenen Versuch, nach Syrien zu kommen, angelegt hatte. Der Account mit wenigen Followern und einem Bild der IS-Flagge als Profilbild ist allerdings nicht besonders aktiv gewesen.

Ende September forderte der IS-Sprecher die im Ausland lebende Muslime dazu auf, „die Ungläubigen“ im Westen zu töten. „Tötet die ungläubigen Amerikaner oder Europäer—vor allem die verabscheuungswürdigen und dreckigen Franzosen—oder einen Australier oder einen Kandier“, sagte Abu Mohammad al-Adnani. „Schlagt seinen Kopf mit einem Stein ein, schlachtet ihn mit einem Messer ab oder überfahrt ihn mit euren Autos.“

Nach momentanem Erkenntnisstand überfuhr Rouleau zwei kanadische Polizisten mit seinem Auto, bevor dann eine Verfolgungsjagd damit endete, dass er—bislang jedoch unbestätigt—eine Polizistin mit einem Messer angriff und dann erschossen wurde.

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Dieser dreiste, mitten am Tag ausgeführte Anschlag weist all die Charakteristika einer „Einzelkämpfer“-Aktion auf, vor denen Sicherheitsbehörden seit Jahren warnen. Tatsächlich zeigen freigegebene Dokumente des kanadischen Geheimdienstes, dass der Canadian Security Intelligence Service (CSIS) schon seit Längerem „Messerangriffe auf Militärpersonal“ befürchtete.

Man muss auch nicht lange suchen, um hier Parallelen zu finden. Der Anschlag 2013 in Woolwich, England—bei dem zwei radikale Islamisten einen britischen Soldaten umbrachten und versuchten, ihn zu enthaupten—dient als Paradebeispiel für die Schwierigkeiten bei der Vereitelung klein angelegter Terroraktionen. Wenn radikalisierte IS-Sympathisanten sich fernab aller Terrornetzwerke bewegen, dann ist es unglaublich schwer, sie aufzuspüren.

Als der kanadische Dschihadist Abu Usamah mir sagte, dass Kanada von nun an als Ziel für Terroranschläge des Islamischen Staats gilt, erklärte mir der ehemalige CSIS-Spion Michel Juneau-Katsuya, dass solche Drohungen ernstgenommen werden müssen.

„Mit [Drohungen] ist nicht zu spaßen. Wir können auch nicht unseren Kopf in den Sand stecken und sagen, ‚Das passiert hier eh nicht, wir sind die Guten’. Wir werden nicht mehr als die Guten wahrgenommen. Wir werden als Teil des Bündnisses wahrgenommen. Unser Premierminister war sehr deutlich, was das angeht … Wir müssen davon ausgehen, dass es eine Bedrohung gibt“, so Juneau-Katsuya.

Zu der Zeit war schon klar, dass Extremisten mit IS-Verbindungen Angriffe auf westliche Nationen planten, und der ehemalige CSIS-Agent war sich sicher, dass Kanada ein Ziel für radikale Islamisten werden würde—für organisierte Gruppierungen und Einzelgänger gleichermaßen.

„Es liegen nicht wirklich bekannte Informationen vor, dass es momentan Schläferzellen in Kanada gibt“, sagte Juneau-Katsuya damals. „Wir wissen allerdings, dass sie es geschafft haben, Leute zu rekrutieren. Wenn es also jemand schafft, Menschen dafür zu rekrutieren, das Land zu verlassen, um an ihrer Seite zu kämpfen, dann können wir eigentlich auch davon ausgehen, dass sie neuen Rekruten genau so gut befehlen können: ‚Bleib vor Ort, wir werden dir sagen, was du in Kanada tun sollst.’“

Ein Sicherheitsexperte, mit dem ich mich direkt nach Rouleaus Anschlag unterhalten hatte, erzählte mir, dass die wirkliche Gefahr darin besteht, wie ein erfolgreicher Einzeltäter die Einstellung anderer, ähnlicher Akteure beeinflusst.  Haben wir es hier mit dem Prototypen eines fanatischen Dschihadisten zu tun oder war es lediglich das Werk eines fehlgeleiteten Mittzwanzigers? Gestern verübte ein weiterer islamischer Extremist—wahrscheinlich wieder ein Einzeltäter—einen Terroranschlag in Ottawa, der Hauptstadt Kanadas.

Erst in den nächsten Tagen wird es wirklich umfassende Hintergrundinformationen zu beiden Tätern und ihren Beweggründen geben. Für die IS-Unterstützer im Internet ist die Sache allerdings schon klar, sie haben ihre kanadischen Märtyrer gefunden.