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Die chaotischste Demo Deutschlands

Salafisten, Karnevalisten, Hooligans, Nazis, die Hisbollah und Menstruations-Interessensgruppen: alle versammelten sich wegen Pierre Vogel zur selben Zeit am selben Ort, in Mönchengladbach.

Als ich erfuhr, dass Pierre Vogel, einer der bekanntesten deutschen Salafisten, in Mönchengladbach eine Demo veranstalten wollte, wurde ich hellhörig. Erstens war es das erste Mal, dass die Salafisten in Mönchengladbach wieder aktiv werden wollten, nachdem sich 2011 der Verein „Einladung zum Paradies“ nach heftigen Protesten der Bewohner auflösen musste. Und zweitens hatte die rechtsextreme Pro-NRW eine Gegendemonstration angekündigt.

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Pro-NRW und die Salafisten haben sich in der Vergangenheit so gewaltsam bekämpft, dass der Spiegel von einem „Krieg der Extremisten“ sprach, der in einem knapp vereitelten Mordanschlag der Salafisten auf den Anführer von Pro-NRW gipfelte. Für diesen Samstag hatten sich dann auch noch eine Bürgerinitiative und die Antifa angekündigt, die beide gegen die beiden anderen Demos auftreten wollten. Als ich mich auf den Weg nach Mönchengladbach machte, war ich also auf einiges an Ärger eingestellt.

Mit dem, was dann tatsächlich passiert ist, hatte ich allerdings nicht gerechnet. Statt irgendwelcher Gewaltexzesse kam es am Samstag zur verwirrendsten Demo Deutschlands. Im Laufe des Nachmittags versammelten sich auf dem Alten Markt in Mönchengladbach derart viele verschiedene Gruppen und taten so viele eigenartige Dinge, dass ich die Ereignisse unmöglich in einem Text erklären kann. Um diesem Chaos irgendwie gerecht zu werden, habe ich also einfach eine Liste zusammengestellt. Vielleicht ergibt sich am Ende daraus ein klareres Bild dessen, was den Mönchengladbach bewegt. Aber nur vielleicht.

PIERRE VOGEL UND SEINE SALAFISTEN

Etwa 180 Salafisten hatten sich versammelt, um den von den Medien oft „Hassprediger“ genannten Pierre Vogel zu hören. Zuerst wollte aber ein anderer Konvertit namens Sven Lau etwas sagen, kam aber kaum dazu, weil auf dem Platz so viel Krach herrschte. „Wäre hier ein Zuhälter auf der Bühne oder eine nackte Frau, die zur Pornografie aufrufen würde, würdet ihr nichts machen”, rief er den pfeifenden Bürgern beleidigt zu.

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Schliesslich übernahm dann Pierre Vogel, der sich eine Art schillernder Techno-Jalabiya angezogen hatte. In seinem breiten Rheinisch sprach er über den Islam, die Ungläubigen, die Hölle, die Freundlichkeit und Gesprächsoffenheit der Salafisten und den Hass der Ungläubigen. Er schrie, „Wir sind bereit für die Religion zu sterben!“. Er fragte lächelnd „Wer ist der Hassprediger? Ist der Hassprediger der, der Menschen ohne Anklage, ohne Beweise in Guantanamo reinschickt und foltert? Oder ist der Hassprediger der, der Jacken sammelt für Leute, die in Syrien am Erfrieren sind?“ Und so weiter.

Über die Verbindung der deutschen Salafisten zu den Dschihadisten in Syrien versuchte ich mehr zu erfahren, kam aber nicht wirklich weit. Mehrere Salafisten erklärten mir, dass sie auch in Syrien eigentlich gegen Gewalt seien. „Ein Moslem darf im Krieg nicht einmal einen Baum töten,“ erklärte mir einer. „Wie aber soll man einen russischen Panzer zerstören? Der Terror ist nur Verteidigung und die Waffe der Schwachen.“

Als ich den Organisator der Demo fragte, ob er Angst vor den rechten Gegendemonstranten habe, erklärte er mir: „Wir wollen keine Gewalt—das muss nicht sein. Aber wenn sie Schläge wollen, können sie sie haben.“ Aber er betonte trotzdem, keine Eskalation zu wollen. „Weil das sonst einen schlechten Eindruck macht. Dann könnten wir so etwas woanders nicht mehr machen.“ Ein Teilnehmer der Kundgebung unterbrach ihn und deutete auf eine Flagge, auf der auf Arabisch stand „Es gibt keinen Gott außer Gott, und Mohammed ist sein Prophet“. Er rief: „Diese Flagge wird bald über dem Vatikan wehen“. Und etwas leiser: „Die Demokratie verbietet alles, was der Koran erlaubt. Und andersrum.“

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PRO-NRW

Gleich um die Ecke schwenkten etwa 25 Anhänger von Pro-NRW deutsche Flaggen und protestierten lautstark gegen Pierre Vogel. Aufsehenerregend war eigentlich nur der plötzliche epileptische Anfall eines Zuhörers, der von den Rettungskräften versorgt werden musste. Die Pro-NRW-Leute nahmen darauf aber keine Rücksicht, der Rettungseinsatz fand unter heftigstem Geschrei auf einer fast menschenleeren Straße statt. Ansonsten fand die Kundgebung kaum Beachtung. Vereinzelte Linke, die amüsiert zuhörten, wurden von der Polizei sofort weggeschickt. Nach ca. zwei Stunden hatten die Pro-NRW-Leute selber keine Lust mehr und gingen nach Hause.

UNORGANISIERTE BESORGTE BÜRGER

Um die Salafistenkundgebung hatten sich kreisförmig einige hundert unorganisierte Bürger versammelt, die mit lauten und anhaltenden Pfiffen gegen die Salafisten demonstrierten. Ein oder zweimal mussten die Salafisten ihre Kundgebung kurz unterbrechen, weil man kein Wort mehr verstehen konnte. Sprechchöre waren von Seiten der Bürger kaum zu vernehmen. Dafür schwenkten einige von ihnen Transparente wie „Vive la Menstruation“ oder „Alle Götter sind tot“.

Sven Lau wird von Kerstin Krügel in die Mangel genommen

Eine besonders engagierte Bürgerin, die Lehrerin Kerstin Krügel, folgte sogar der Einladung Sven Laus und hielt ein Streitgespräch mit ihm auf der Bühne, dass irgendwie damit endete, dass sie sagte, er solle nicht immer „Homos“ sagen, und er behauptete, die Evolutionstheorie sei schon lange widerlegt worden. Nach einigen Stunden Salafistenpredigt verließen die Bürger aber nach und nach den Platz.

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DIE ANTIFA

Eigentlich war die Nachricht, dass die Antifa zum ersten Mal auch gegen die Salafisten—nicht bloß gegen Pro NRW—protestieren würde, eine ziemliche Neuigkeit gewesen. Nachdem man lange keine echte Stellung zu den Salafisten beziehen wollte, hatte man sich schliesslich mühsam zu dem Statement durchgerungen, dass man jetzt auch die fundamentalistischen Tendenzen der Salafisten ablehne. Am Ende kam aber dann einfach fast niemand, nur eine Handvoll biertrinkender Punks, die schulterzuckend meinten, man hätte sich nicht so richtig organisiert.

DIE HOOLIGANS

Ich hatte schon vor Beginn der Veranstaltung eine ganze Menge untersetzter Männer bemerkt, die sich in kleinen Grüppchen in den Kneipen am Platz versteckten. Als um 15 Uhr die Kundgebung der Salafisten begann, verbanden die sich plötzlich zu einem Mob aus offensichtlich rechtsradikalen Fußballfans. Sie versuchten sofort, in unmittelbarer Nähe zu den zuhörenden Salafisten durch die Polizei zu brechen, warfen Flaschen und skandierten Fußballchöre. Die Situation schien aber zunächst eher laut als bedrohlich.

Als die Fußballfans aber plötzlich irgendetwas anzündeten, wurden die Polizisten hektisch. In voller Montur kamen sie aus der Innenstadt angerannt, um die Rechten in einer Gasse einzukesseln. Über Lautsprecher riefen sie zu Ruhe und Ordnung auf. Nach einigem Geschubse und Gejohle gingen die Rechten schließlich nach und nach ohne weitere Gegenwehr in die Gasse, um dort während der folgenden zwei Stunden zu bleiben. Gegen Ende löste sich ihre Gruppe unbemerkt auf. Ein Mitglied fand ich noch urinierend in einem Hauseingang.

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DIE BÜRGERBEWEGUNGEN

Auf einer Seite des Platzes versammelten sich etwa 200 Menschen für die Kundgebung des Bündnisses für Menschenrechte gegen Rechtsextremismus. Dem Bündnis, das seit etwa zehn Jahren besteht, gehörten laut Aussage des anwesenden und gut gelaunten Bezirksvorstehers Reinhold Schiffers etwa drei Dutzend Organisationen an. Die Kundgebung nutzten verschiedene Parteien wie Die Grünen und Die Partei um mit Ständen für ihr eigenes Programm zu werben. Die Stimmung in diesem ziemlich bürgerlichen Lager schien heiter und routiniert. Allerdings hörte man fast nichts von dem, was sie sagten, weil nebenan die German Defense League so wahnsinnig viel Krach machte.

DIE GERMAN DEFENSE LEAGUE

Die etwa 40 fahnenschwenkenden Mitglieder der nationalistischen German Defense League begannen sofort am Anfang der ersten Salafistenpredigt einen Höllenlärm zu veranstalten. Laut ihrem Sprecher und Vizepräsidenten Chris Field zieht die GDL gegen den radikalen Islam zu Felde. „Wir sind eine eigene Veranstaltung und gehören keiner Gruppierung an. Wir stehen zufällig zwischen den Salafisten und der Bürgerbewegung. Wir sind nicht rechts“, erklärte mir Chris. „Wir hassen Nazis. Ich war früher selber bei der Antifa“, wollte mir ein anderes GDL Mitglied unbedingt mitteilen. Nach ca. zwei Stunden, in denen sie immer leiser geworden waren, verzogen sie sich schliesslich auch stillschweigend.

DER TYP MIT DEM ENGLAND-KOFFER (UND JESUS)

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Eine skurrile Hauptrolle hatte ein Muslim inne, der Prospekte aus einem mit der britischen Flagge bedruckten Koffer verteilte. Er trat anscheinend für einen Dialog zwischen den Religionen ein—in den Broschüren war zu lesen, dass „Jesus der Sohn Allahs“ sei. Beim späteren gemeinsamen Gebet der Salafisten war der Koffer sehr präsent, da immer im Bild der Fotografen. Pierre Vogel gefiel das nicht wirklich, er sagte merhmals „Ich mag das nicht so sehr wenn dieser Koffer im Bild ist“. Der Koffer wurde daraufhin um ein paar Meter verschoben - weg von Vogel, aber immer noch im Bild. Beim Abschlussgebet nahm der Koffer dann nochmal eine ziemlich zentrale Rolle eoin.

DIE HISBOLLAH

Irgendwann tauchten zwei Männer mit einer kleinen Hisbollah-Fahne auf und schrieen „Salafisten, Terroristen!“. Zuletzt deuteten sie mit ihren Händen aufgeschlitzte Kehlen an und schwenkten Fäuste in Richtung der Salafisten. Sie wurden nach etwa zehn Minuten ohne Widerstand von der Polizei abgeführt.

DIE KARNEVALSVEREINE

Pro-NRW brüstete sich damit, dass die Mönchengladbacher Karnevalsvereine für sie demonstrieren würden. Davon war allerdings nicht viel zu sehen. Karnevalisten sah man auf dem Weg zu den Kundgebungen auf eigenen Veranstaltungen, die sehr unpolitisch schienen. Vereinzelt hatte der Karneval Einzug ins Lager der Bürgerbewegung gehalten, wo sie für gute Laune sorgten.

BERNHARD FALK

Der ehemalige Linksterrorist und Anhänger des radikalen Salafismus, Bernhard Falk, war  zu der salafistischen Kundgebung erschienen, um einen selbst verfassten Flyer zu verteilen, in dem er einen islamischen Staat fordert. Der Staat soll irgendwo auf dem Gebiet von Syrien oder dem Irak entstehen, vielleicht aber auch in Somalia, Jemen, oder Afghanistan. „Und wir Muslime müssen uns natürlich anstrengen, dass ein solcher Staat gegründet wird“, wie der Flyer verkündete. Falk bedauerte aber, dass er selber eigentlich keine Zeit habe, sich aktiv damit zu befassen, weil er bis vor kurzem in einem Call Center ziemlich ausgelastet gewesen sei. Arabisch habe er deshalb auch noch nicht so richtig lernen können. Am Ende der Veranstaltung war Falk auch nirgends mehr zu sehen.

DIE POLIZEI

Die größte Demo stellte mit ihren 500 Mann eigentlich die Polizei. Die meiste Zeit standen die Beamten ziemlich entspannt herum. Als die Situation mit den Hooligans zu eskalieren drohte, wurden plötzlich überall hektisch Helme und Schlagstöcke hervorgekramt und Verstärkung kam aus den angrenzenden Gassen angerannt. Aber kurz danach war die Lage wieder beruhigt. Die Polizisten waren auch die einzigen, die bis zum Ende mit den Salafisten aushalten mussten—alle anderen waren schon lange vorher gegangen.