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„Fuck your morals!“—Femen ziehen sich vor Muslimen aus

Wir waren dabei, als nackte Aktivistinnen die Islamwoche in Berlin stürmten. Es war unglaublich peinlich. Hier unser Video von Donnerstagabend.

Am Donnerstag haben die Frauen von Femen die Berliner Islamwoche gestürmt. Sie hatten sich dafür die Podiumsdiskussion am Abend ausgesucht, weil sie gegen die umstrittene Teilnahme des Islamisten Dr. Mustafa Yoldaş protestieren wollten. Das wurde bei der Protestaktion allerdings nicht wirklich klar, und ich weiß es nur, weil Femen es uns vorher angekündigt hatte.

Von Anfang an: Am Dienstag telefonierte ich mit einer Aktivistin von Femen, die mir erzählte, dass sie die Podiumsdiskussion bei der vom Berliner Senat mitorganisierten Islamwoche stören wollten. Der Grund sei die Teilnahme von Mustafa Yoldas, der ein hochrangiges Mitglied des vom Verfassungsschutz beobachteten Vereins Milli Görüş ist. Bis 2010 war Yoldas außerdem Vorsitzender der „Internationalen Humanitären Hilfsorganisation“, die verboten wurde, weil sie 6,6 Millionen Euro für die Hamas gesammelt haben soll. Im Vorfeld der Diskussion hatte es bereits Kritik an Yoldas’ Teilnahme gegeben, ein Protest dagegen war also nicht völlig abwegig.

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Andererseits haben die Femen mit ihren kruden Aktionen (die Gründerin hat Kopftücher mal als „Konzentrationslager“ bezeichnet) immer wieder muslimische Feministinnen gegen sich aufgebracht. Als Gegenreaktion auf die Femen-Proteste, die sie als bevormundend und unverschämt ablehnen, hat sich sogar eine eigene muslimische Frauengruppe gebildet, die Muslima Pride. Die Frauen von Muslima Pride betonen immer wieder, dass sie sich nicht von Femen befreien lassen wollen—weil sie schon frei sind. Auch deshalb wollten wir sehen, wie der „Sextremismus“ der Femen bei echten Musliminnen ankommt.

Der Kuchen wurde von Dulce Welt gestellt

Als wir gestern Abend im Roten Rathaus ankamen, wurde schnell deutlich, dass hier niemand mit einer solchen Aktion rechnete. Die Veranstaltung war offen für jeden, an der Tür wurden wir mit Datteln empfangen, im Vorsaal gab es dann noch Getränke und Kuchen. Im Saal waren überall Aushänge mit kleinen Comics, die humorvoll die alltägliche Diskriminierung von Musliminnen mit Kopftuch thematisierten oder Leute zu „Ammotube” einluden—„weil Lachen Halal ist“. Ich fing langsam an, ein schlechtes Gewissen zu bekommen. Die Leute hier wirkten ungefähr so bedrohlich wie eine Jahresversammlung des evangelischen Gemeinderats, und alle schienen sich zu freuen, dass wir gekommen waren.

Trotzdem sagte ich mir, dass es nicht in Frage kam, die Veranstalter zu warnen. Als Presse waren wir da, um die Ereignisse zu dokumentieren, nicht um sie zu beeinflussen. Also setzten wir uns in den Hörsaal, wo ein Herr Ajami gerade eine Berliner Initiative zur Hilfe für behinderte Kinder bewarb. Im Saal saßen um die zweihundert meist ältere Menschen, darunter viele Frauen mit Kopftuch. Irgendwann kamen ein dunkelhaariger Junge und ein sehr blondes Mädchen in den Saal, die nicht so richtig zum Rest des Publikums passten, und setzten sich unbemerkt vorne auf Stühle.

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Dr. Mustafa Yoldas am Mikrofon

Kurz darauf begann die Diskussionsrunde, an der außer Mustafa Yoldas noch ein katholischer Priester, eine konvertierte Muslima und ein Imam teilnahmen. Die Diskussion mit dem Thema „Berlin—Mitgestalten“ lief schon eine gute Viertelstunde, auch Dr. Yoldas hatte schon die Gelegenheit gehabt, von seinen Verhandlungen mit dem Hamburger Senat zu erzählen, als die Femen plötzlich zuschlugen.

Die hatten sich unbemerkt in einer Ecke ausgezogen und liefen jetzt halbnackt zur Bühne, wo sie sofort anfingen, herumzuschreien. Die Anführerin, Zana Ramadani, rief etwas davon, dass auch sie „unter dem Islam, im Namen des Islams leiden“ musste. Der Moderator reagierte relativ cool und sagte: „Wir reden einfach weiter, oder?“ Die Zuschauer waren fassungslos.

Nach kurzer Zeit versuchten die Leute im Saal, die schreienden Nackten irgendwie loszuwerden. Eine ältere Dame mit Kopftuch versuchte, eine der Femen wegzuziehen, gab aber wieder auf, als die sich wehrte. Eine Sprecherin versuchte, die Aktivistinnen über das Mikrofon zu beschwichtigen. „Wir danken für Ihren Einsatz“, sagte sie, „aber bitte verlassen Sie den Raum! Wir sind sehr glücklich mit dem, deswegen machen wir diese Veranstaltung! Der Einsatz ist lobenswert, aber Sie können sich doch mit denen unterhalten, die sich unterdrückt fühlen!“ Alle drei Femen ignorierten das und verlegten sich stattdessen darauf, laut und im Chor „Scharia ist kein Grundgesetz—Fuck your Morals!“ zu schreien—immer und immer wieder.

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Die Überraschung des Publikums war mittlerweile teilweise in Belustigung, teilweise in Wut umgeschlagen. „Was soll denn das? Das ist doch peinlich!“, meinten zwei Mädchen neben mir. „Jeder Mensch soll denken, was er will, aber sowas, sowas ist einfach …“, erklärte mir eine von ihnen, bevor sie aus Wut abbrach. Schließlich gaben die Veranstalter die Vermittlungsversuche auf und riefen die Polizei, die aber nur Eine der Femen mitnahm. Die anderen Beiden konnten ungehindert weiter schreien.

Irgendwann begann das ganze Publikum, laut zu klatschen und zu johlen, um die Femen zu übertönen. Das schien die beiden verbliebenen Aktivistinnen etwas zu verunsichern, überhaupt wirkte es langsam so, als dauerte die ganze Sache auch ihnen zu lange. Zana flüsterte ihrer Kollegin ein leises „Bleib einfach stehen“ zu, dann schrien sie weiter. Sie wollten anscheinend um jeden Preis gewaltsam von der Polizei weggeschleppt werden—das sieht auf Fotos krasser aus.

Nach circa einer Viertelstunde wurden sie dann aus dem Saal gezerrt. Im Saal herrschte immer noch große Aufregung, irgendjemand rief: „Deshalb sind heute so viele Journalisten da!“ Dann kippte die Stimmung schnell gegen die Journalisten, die sich sofort wie wild auf die nackten Frauen gestürzt hatten. Als wir versuchten, ein Interview mit einer Zuhörerin zu machen, schmiss uns ein ziemlich aufgebrachter Herr Ajami aus dem Saal—man wollte jetzt endlich mit der Diskussion weitermachen.

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Auch draußen wollte uns niemand ein Interview vor der Kamera geben. Aber es wurde schnell deutlich, dass die Aktion für ziemlich viel Verstörung bei den anwesenden Musliminnen gesorgt hatte. „Ich kann dazu gar nichts sagen, ich habe schreckliches Kopfweh, das war viel zu viel für mich—und meine Kinder!“, stammelte eine Frau. „Da waren ja auch Kinder! Das geht doch nicht!“ Ein etwas gefassteres junges Mädchen erklärte, sie sei zwar liberal, und jeder könne ja tun und lassen, was er wolle, aber „wenn man die Rechte von Anderen verletzt, dann ist das nicht mehr in Ordnung. Und hier wurden unsere Rechte verletzt.“

Wir haben niemanden gefunden, der dem Protest irgendetwas abgewinnen konnte. „Da wollen wir gar nicht drüber sprechen. Das hat mit uns nichts zu tun“, erklärte mir ein Mädchen. „Ich fühle mich davon nicht angesprochen und auch nicht beleidigt. Das geht uns einfach nichts an, was die machen.“ Ihre Freundinnen stimmten ihr zu. „Wie kann man so tief sinken?“, murmelte eine Andere.

Keine der Frauen wollte uns vor der Kamera ein Interview geben. Manche waren zu schüchtern, aber nicht wenige waren auch offen misstrauisch und schienen uns in einen Topf mit Femen zu werfen. Irgendwie hatten sie damit in unserem Fall ja auch Recht. Vor allem aber bekam man deutlich das Gefühl, dass die Muslime sich als Gruppe angegriffen gefühlt hatten und sich jetzt als Gruppe vor allem Fremden abschotteten. Auf die Frage, warum sie denn nicht ihre Sicht der Dinge darstellen wollte, antwortete eine Frau nur: „Leben Sie mal als Muslima in Berlin. Dann verstehen Sie das.“

Nachdem wir die achte Frau erfolglos um ein Interview gebeten hatten, wurde es schließlich auch den Veranstaltern zu bunt, und man bat uns, die Leute in Ruhe zu lassen. Die freundliche Gemeindeversammlung von vorher war wie weggeblasen, stattdessen waren alle gereizt und verdächtigten uns ständig, sie heimlich mitzuschneiden—das hatte Femen erreicht.

Ich weiß nicht genau, was Femen eigentlich mit der Aktion bewirken wollte. Falls es nur um Publicity ging, haben sie ihr Ziel wohl erreicht. Wenn es darum ging, in einen Dialog mit den Muslimen zu treten, war es ein grandioser Reinfall. Niemand konnte verstehen, dass der Protest gegen Mustafa Yoldas gerichtet war. Stattdessen wirkte die Aktion der drei nackten Frauen, die pausenlos „Scharia“ und „Fuck your Morals!“ schrien, eher wie ein Angriff auf den Islam an sich. An diesem Abend waren jedenfalls die einzigen, die muslimische Frauen daran gehindert haben, frei zu sprechen, die Femen-Aktivistinnen.