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Popkultur

„Hate-Following“ wirkt therapeutisch und beruhigend

Eine aktuelle Studie hat bewiesen, dass man bei schlechter Laune mehr Zeit auf den Social-Media-Profilen von bemitleidenswerten und armen Mitmenschen verbringt.

„Hate-Following“ visuell dargestellt

Endlich hat uns die Wissenschaft bewiesen, dass die ganzen Volltrottel, mit denen du auf Facebook befreundet bist, doch zu etwas gut sind. Und damit sind wirkliche alle Idioten gemeint, auch die Deppen aus deiner Heimat und das Mädchen damals von der Uni, das ihre Menstruation mit „Echt jetzt, das läuft wie ein Wasserhahn“ kommentiert hat und es jetzt irgendwie geschafft hat, Krankenschwester zu sein. Sie sollte sich eher medizinische Hilfe holen und nicht leisten. Du kannst nur hoffen, dass du die ganze Zeit gesund bleibst und ihr so gar nicht erst die Möglichkeit gibst, dich am Krankenbett vollzulabern.

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Alle diese Menschen sind nützlich. Sie lassen dich und dein trauriges Leben besser dastehen. Diesen Monat hat eine an der Ohio State University durchgeführte Studie ergeben, dass schlecht gelaunte Menschen eher dazu neigen, die Social-Media-Profile von Leuten zu besuchen, die noch übler dran sind—zum Beispiel die Armen, die Kaputten und die Ex-Kommilitonen, die einem schon damals auf die Nerven gingen.

Zu diesem Ergebnis kam man, indem 168 Studenten in zwei Gruppen aufgeteilt wurden: die Schlechtgelaunten (sie mussten einen Test absolvieren, bei dem sie „fürchterlich“ abschnitten) und die Gutgelaunten (die beim gleichen Test ein „hervorragendes“ Ergebnis erzielten—Manipulation kann so einfach sein!). Danach sollten sie sich unechte Social-Media-Profile auf der extra dafür programmierten Plattform „SocialLink“ anschauen.

Einige der „SocialLink“-Profile

Ich liebe es, wenn in Fernsehshows und -filmen aus lizenzrechtlichen Gründen keine Markennamen genannt werden dürfen, jeder aber trotzdem genau weiß, um was es eigentlich geht. Das ist auch hier der Fall: Akademiker dürfen zu wirklich akademischen Zwecken keine echten Facebook-Profile verwenden—deshalb musste nur für diese Studie ein komplett neues soziales Netzwerk aus dem Boden gestampft werden.

Das Ergebnis ist ziemlicher Müll: Namen wie „Raymond Doty“ oder „Phillip Mulkey“, verpixelte Profilbilder und ein Fünf-Punkte-Bewertungssystem im Bezug auf Reichtum (Dollar-Zeichen) und Sexappeal (Herz). Oft stelle ich mir vor, wie das Meeting ablief, bei dem das Design festgelegt wurde: „Kann man dieses zerfleischte Gesicht nicht etwas weniger sexy machen? Brian, hör mir zu! Lass die verzerrten Pixel noch etwas schlechter aussehen.“

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Die Studie lieferte folgende Ergebnisse: Im Allgemeinen verbringt man mehr Zeit auf den Profilen der reicher und schöner eingestuften Menschen, aber die schlechtgelaunte Gruppe klickte öfter auf die Seiten der Armen und Hässlichen. Benjamin Johnson, ein Mitverantwortlicher der Studie, fasst es so zusammen: „Im Grunde sind die meisten von uns auf Social-Media-Plattformen auf der Suche nach positiven Dingen. Wenn man sich allerdings verwundbar fühlt, dann interessieren einen auf Facebook mehr die Leute, die einen schlechten Tag haben, oder die sich nicht wirklich positiv darstellen können. So fühlen wir uns dann besser.“

Das ist super, denn so wird auch meine eigene Theorie bestätigt, für die es kein künstliches Social-Media-Netzwerk und keine Universitätsstudie gab. Ich glaube, dass es wichtig für das Herz, die Seele und auch alles andere ist, mit einer verhassten Person bei Facebook befreundet zu sein. Natürlich gibt es zwischen Mitleid und Hass noch eine ganze Palette anderer Emotionen—das Anschauen des Profils einer Person, die ganz verzweifelt ein abgeranztes Rennauto-Bett bei einer dieser Biete/Suche/Tausche-Gruppen loswerden will, ist auch etwas ganz anderes als das Studieren der Tweets eines entfernten Bekannten, den du eigentlich hasst. Es schlägt jedoch in die gleiche Kerbe. Ich glaube, dabei werden die gleichen Hirn-Synapsen gereizt, die sonst nur bei Twitter-Rumgeheule angesprochen werden. Man könnte es wohl auch digitale Schadenfreude nennen.

Die durch soziale Netzwerke verursachten, kleinen Begeisterungsschübe sind keine Einbildung. Anfang des Jahres kam eine Studie von Frontiers of Human Neuroscience zu dem Ergebnis, dass die Anhäufung von Facebook- oder Instagram-Likes, Retweets und so weiter das Belohnungszentrum in deinem Gehirn ansprechen. Wissenschaftler der Freien Universität Berlin haben die Hirne von 31 Facebook-Nutzern gescannt, die sich dabei ihre eigenen, mit positiven Kommentaren versehenen Bilder anschauten. Ja, im Grunde sind wir alle nur große, dumme Papageien, die jetzt in das eigene Handy und nicht mehr in das eigene Spiegelbild verliebt sind.

So wurde bewiesen, dass soziale Netzwerke unsere Stimmung und unser Wohlbefinden beeinflussen. Und es geht auch andersrum: Wenn sich jemand öffentlich über eine fehlerhafte Flugbuchung beschwert und deswegen schon um fünf Uhr früh zum Flughafen muss, dann bin ich überglücklich.  Wenn jemand die Worte „Ernsthaft, Twitter?“ benutzt und dabei nicht lacht, werde ich so wütend, dass ich vor Energie nur so sprühe. Und mein Gott, wenn jemand dieses Foto retweetet und dann so Sachen wie „BRILLANT“ oder „TWEET OF THE DAY“ dazuschreibt, dann fühle ich mich riesengroß und kann Feuer aus meinen Fingerspitzen schießen. Jeder ist scheiße und es macht Spaß, dabei zuzusehen.

Mit dieser Ansicht bin ich nicht alleine—damit kann ich einfach nicht alleine sein. Ich kenne jemanden, der sich sogar einen ganz neuen, total geheimen Twitter-Account angelegt hat, nur um den Menschen zu folgen, die ihn mit ihren beschissenen Meinungen auf die Palme bringen. Viele andere Bekannte schauen regelmäßig nach, ob Leute, mit denen sie eigentlich nicht befreundet sind, immer noch Idioten sind. „Ja“, schreiben sie mir dann in einer E-Mail oder bei WhatsApp und schicken mir dazu gleich noch einen alten Tweet—ein festgehaltener Bruchteil der Wut einer anderen Person. „Sie sind immer noch dumm.“

Da haben wir es also: Ein bisschen Hass (wenn du das Wort „Hass“ als zu stark empfindest, dann bezeichne das Ganze einfach als „aggressives Genießen der Tatsache, dass du nicht jemand anderes bist“) hat noch niemandem geschadet.