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Zwei nigerianische Schwule und ihr Leben in Angst

Das neue Anti-Homosexualitätsgesetz in Nigeria ist weitaus brutaler als all das, was in Russland passiert oder Herr Matussek unter Homophobie versteht.

Letzten Monat hat die nigerianische Regierung ein Gesetz zum Verbot der gleichgeschlechtlichen Ehe verabschiedet, durch das Schwulenclubs und andere Zusammenkünfte von Homosexuellen kriminalisiert werden. Auch wer einen Homosexuellen kennt und ihn nicht meldet, macht sich strafbar. Außerdem wird die „indirekte“ öffentliche Zurschaustellung gleichgeschlechtlicher Zuneigung verboten. Was das bedeuten soll, kann niemand so genau sagen, doch eines steht fest: Illegal war Homosexualität in Nigeria schon immer, doch jetzt ist sie gefährlich.

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Bei der Recherche über die Ursachen und Konsequenzen des Gesetzes sprach ich mit zwei Schwulen über ihr Leben in Nigeria: Rashidi Williams, Gründer der Queer Alliance Nigeria, und Julius (Name geändert).

VICE: Habt ihr das Gefühl, eure Sexualität verbergen zu müssen?
Rashidi Williams: Ich wusste schon als Kind, dass ich anders bin. Den genauen Unterschied verstand ich aber erst als Teenager. Warum? Weil es in Nigeria keine Information zu dem Thema gibt und ich von einer sehr konservativen Mutter erzogen wurde. Mein liberaler Vater war immer unterwegs. Aber seitdem ich verstanden habe, was mich von den anderen unterscheidet, hatte ich nicht mehr das Gefühl, meine Sexualität verbergen zu müssen. Ich habe mich mit 20 geoutet, ich denke also nicht, dass ich meine Sexualität verstecken musste.
Julius: Meine Antwort ist Ja. Es war schon immer so, auch bevor das neue Gesetz verabschiedet wurde. Schwulsein ist nichts, was du vor deiner Familie und deinen Freunden zur Schau stellst, denn die Wahrscheinlichkeit, dass sie kein Verständnis haben, ist groß.

Wie ist die Schwulenszene in Lagos? Wohin geht ihr, und gab es dort schonmal Polizeirazzien?
Rashidi: Die Schwulenszene hat sich entwickelt, früher war sie abgeschottet, aber in den letzten zehn Jahren hat sie sich ein bisschen geöffnet. Doch jetzt, wo das Gesetz verabschiedet wurde, wird die Szene wieder abtauchen. Für wie lange wissen wir nicht. Die Sichtbarkeit, die wir als Gemeinschaft schaffen konnten, wurde uns unter dem Vorwand, die Religion und kulturelle Bräuche zu schützen, wieder genommen. Einige Leute in Lagos können dir sagen, wo sich LGBT-Leute am Wochenende treffen; einige können dir sogar schwulenfreundliche Bars in der Umgebung nennen. Kurz gesagt war die Schwulenszene in Lagos relativ frei und friedlich. Durch das Gesetz wird dies aufs Spiel gesetzt.

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Vorher gab es also keine Probleme?
Rashidi: Früher haben die Polizei und andere Sicherheitsagenturen auf Schwulenpartys in Lagos Razzien durchgeführt. Aber das ist schon lange her. Die letzte Razzia war, soweit ich weiß, vor ungefähr fünf Jahren. LGBT-Gruppen haben sich ab und zu versammelt, um ihre Sexualität zu feiern, und manchmal wusste die Polizei sogar davon. Doch weil es jetzt ein Gesetz gibt, das [Schwulenclubs] ausdrücklich verbietet, sollten wir uns auf häufigere Razzien an Aufenthaltsorten, auf Partys und bei anderen Veranstaltungen von Homosexuellen gefasst machen. Das Hauptziel besteht meistens nicht darin, Leute zu verhaften, sondern sie zu erpressen und unter Druck zu setzen.
Julius: Um ihre Sexualität verdeckt zu halten und keine Bloßstellung zu riskieren, geht die Mehrzahl kaum zu speziellen Orten für Homosexuelle. Bis vor ein paar Jahren wusste ich nicht einmal, dass es Schwulenbars und Ähnliches gab, so geheim sind diese Einrichtungen. Früher gab es Schwulenpartys mit streng codierten Einladungen, aber ich war nie bei einer. Ich höre nur von ihnen. Ich habe zu viel Angst, meine Identität preiszugeben.

Rashidi

Glaubt ihr, dass ihr es in einem anderen Land leichter hättet?
Rashidi: Warum wollen sogar einige Nigerianer außerhalb der LGBT-Community im Ausland leben und arbeiten? Weil das Leben einfacher und angenehmer ist. Als Schwuler außerhalb Nigerias zu leben, wäre toll. Aber dann denkst du doch an dein Land und daran, in was für einem Land du leben willst. In anderen Ländern haben die Menschen für die Freiheiten gekämpft, die sie nun genießen. Sie haben die Vorstellung einer besseren, gleichberechtigten Gesellschaft nie aufgegeben. Wir müssen uns durchsetzen und Nigeria zu einem besseren Land machen. Im Ausland zu leben, würde nicht die Veränderungen bewirken, die wir brauchen. Ich glaube, es wäre nur vorübergehend befriedigend.
Julius: Ich habe das Gefühl, dass es als Homosexueller leichter wäre, in einem anderen Land zu leben. Ich habe einen Freund, der vor Kurzem nach Europa gereist ist. Er ist von einer Stadt in die andere gereist und hat lauter aufregende Dinge darüber erzählt, wie entspannt die Atmosphäre für Homosexuelle an diesen Orten ist. Er hat überhaupt kein Interesse, zurück nach Nigeria zu kommen. Er kam zu dem Punkt, an dem er seine Nationalität zugunsten seiner sexuellen Orientierung gerne aufgab.

Denkt ihr, dass die Religion an der Homophobie in Nigeria Schuld ist? 
Rashidi: Die Religion ist eines der größten Probleme des Landes. Das neue Gesetz steht in Verbindung zur Religion, es kann nicht von ihr getrennt werden. Der Senator, der den Gesetzesentwurf im Parlament vortrug, ist ein Anhänger des konservativen anglikanischen Glaubens. Unsere Wahrnehmung wird von extremen religiösen Ansichten getrübt. Religiöse Führer unterziehen uns immer wieder einer Gehirnwäsche, aber wir sitzen nur da und schlucken ihre religiösen Predigten, ohne sie zu hinterfragen. Die Religion initiierte schon in der Kolonialzeit Gesetze gegen Homosexuelle.

Wie würdet ihr die Situation verbessern? 
Rashidi: Die Nigerianer sollten endlich aufwachen. Unsere Politiker und religiösen Führer häufen die ganze Zeit Reichtum an und wir folgen ihnen, ohne darüber nachzudenken. Das Thema der Homosexualität missbrauchen sie, um uns etwas vorzumachen. Als ob es nur an den Schwulen liegen würde, dass die Entwicklung des Landes stillsteht.
Julius: Die Religion ist eine wesentliche Ursache für die Homophobie in Nigeria. Dicht dahinter kommt die Kultur. Die Argumente kreisen immer um zwei Ideologien: Lehren aus dem Alten Testament und den Glauben, dass Schwulsein nicht afrikanisch sei.

Ich habe Gerüchte gehört, dass eine Reihe nigerianischer Politiker und Militärbeamter schwul seien. Aber ich bezweifle, dass das Gesetz ihnen etwas anhaben kann.
Rashidi: Es sind keine Gerüchte. Die Wahrheit ist, dass sie verkappte homosexuelle Fanatiker sind. Sie haben alle Ressourcen zur Verfügung, um sich selbst vor der Abscheulichkeit des Gesetzes zu schützen. Den Schaden tragen die gewöhnlichen LGBT-Bürger, denen das Recht auf Gesundheit genommen wird und die Gewalt ausgesetzt sind. Ihnen werden Verbindungen und friedliche Versammlungen verboten, man dringt in ihre Privatsphäre ein und raubt ihnen ihre Selbstbestimmung. Deshalb erheben wir unsere Stimme. Es geht nicht um Heirat. Es geht um unser Leben—um das Leben von Heterosexuellen und Homosexuellen.
Julius: Das Gesetz ist gefährlich. Es ermächtigt alle, die ein Problem mit Homosexuellen haben. Homophobe Menschen müssen sich nicht mehr zurückhalten, sie müssen ja argwöhnisch sein. [Sie befolgen nur das Gesetz, wenn sie] die Polizei informieren oder einen Mob anstiften. Es gibt Berichte darüber, dass sich die Polizei auf schwule Datingseiten einschleust und Interesse simuliert, um arglose Schwule zu ertappen. Während Homosexuelle früher ein vorsichtiges, aber angenehmes Leben führen konnten, müssen sie nun durchgehend auf der Hut sein. Sie werden weder durch das Gesetz noch durch unsere Machthaber beschützt.