In Berlin demonstrierten Israelis und Palästinenser gemeinsam gegen den Krieg

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In Berlin demonstrierten Israelis und Palästinenser gemeinsam gegen den Krieg

Von Hass, Rachegelüsten oder gar Antisemitismus war auf dieser Demo nichts zu spüren.

Während in Wien die Gräben im Israel-Palästina-Konflikt immer noch sehr tief sind, haben sich am frühen Mittwoch Abend ungefähr 280 Menschen in Kreuzberg versammelt, um gegen den Krieg in Gaza zu protestieren. Offiziell war die Aktion als israelische Demonstration angemeldet worden, unter den Teilnehmern fanden sich aber auch Palästinenser, Türken, Afrikaner und einige deutsche Linke. Den Organisatoren ging es darum, „als israelische Staatsbürger Bedenken und Opposition zum Gaza-Angriff, aber auch der Angst und Sorge um ihre Familien in Israel zu äußern".

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Obwohl es im Vorhinein Spekulationen um ein erhöhtes Polizeiaufgebot und pro-israelische Gegendemonstrationen wie zuletzt am Al-Quds-Tag gegeben hatte, blieb die Kundgebung vollkommen friedlich. Bevor der Zug sich in Richtung Kottbusser Tor in Bewegung setzte, gab es einige kurze Redebeiträge, in denen die Veranstalter vor allem die Haltung der deutschen Regierung anprangerten und den fehlenden Rückhalt bei den Parteien des linken Spektrums kritisierten. Den Schlachtruf „Das ist deutsche Tradition: Mord, Folter, Deportation" wollte dann aber doch kaum einer der Anwesenden mitsingen.

Erst am Mittwoch Vormittag waren bei einem Angriff auf eine zur Flüchtlingsunterkunft umfunktionierten Schule der Uno-Hilfsorganisation UNRWA im Gazastreifen mindestens 15 [Zivilisten](http:// http://www.spiegel.de/politik/ausland/in-gaza-sterben-dutzende-nach-israelischem-angriff-auf-fluechtlingsheim-a-983544.html) ums Leben gekommen. Als wir mit einigen jüdischen und palästinensischen Teilnehmern der Demo sprachen, war jedoch von Hass, Rachegelüsten oder gar Antisemitismus nicht das Geringste zu spüren.

Jasmin Wagner (sie weiß, dass sie heißt wie Blümchen):

VICE: Wo kommst du her?
Jasmin: Ursprünglich aus Jerusalem.

Ost oder West?
Das möchte ich nicht sagen, auch nicht, ob ich Jüdin oder Muslimen bin, weil ich an keinerlei chauvinistische oder homophone Religion glaube.

Was steht auf deinem Schild?
Semiten gegen den Krieg mit einer Menge Selbstliebe. Es gibt eine Kampagne, in der uns vorgeworfen wird, dass wir anti-semitisch seien, dabei sind wir selbst Semiten. Sie behaupten wir wären Juden, die sich selber hassen, aber das stimmt nicht, wir lieben uns, deshalb wollen wir auch nicht, dass Juden getötet werden. In Israel gibt es eine Menge Propaganda gegen die Leute, die gegen den Krieg sind. Es gibt sogar Proteste, auf denen die Rechten fordern, an jüdischen Kriegsgegnern einen Genozid zu verüben. Und hier in Deutschland gibt es die Antideutschen, die diese Leute unterstützen. Das regt mich total auf, ich mag keine Deutschen, die gegen Juden hetzen.

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Netanjahu hat in einer Rede zu Beginn der Militär-Offensive der Hamas dafür gedankt, dass sie den Zusammenhalt in der israelischen Gesellschaft gefördert hat. Aber offensichtlich ist das nicht wirklich der Fall, oder? 
Ja, die israelische Gesellschaft und die jüdische Gemeinde waren schon immer sehr gespalten, religiös und nicht religiös, links und rechts, selbst innerhalb der Religion gibt es Unterschiede zwischen West-Juden und Ost-Juden. Es ist überhaupt nicht homogen und es gibt viele Konflikte. Natürlich ist es gut, wenn es eine Reihe von verschiedenen Meinungen gibt, aber ich mag es nicht, wenn eine Meinung mit Gewalt vertreten wird.

Gabriel, Israel:

VICE: Was glaubst du könnt ihr heute bewirken, auch in der israelischen Öffentlichkeit?
Gabriel: Wir müssen einfach zeigen, dass wir da sind. Unsere Solidarität bekunden und zeigen, dass wir als israelische Bürger uns unserer Verantwortung bewusst sind.

Hast du bei all der Israel-Feindlichkeit, die gerade hochkocht, das Gefühl, dass du dich als Israeli rechtfertigen musst für das, was im Moment passiert?
Ich glaube nicht, dass ich mich rechtfertigen muss. Mein Traum ist, dass die Besatzung beendet wird. Wir wollen zeigen, dass nicht alle Israelis panisch sind und sich von der Regierung manipulieren lassen. Ich will, dass es einen Dialog gibt zwischen den vernünftigen Leuten auf beiden Seiten. Vielleicht können wir wirklich etwas bewirken, wenn die Proteste immer weitergehen, aber wahrscheinlich ist es naiv daran zu glauben.

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Laura, Brasilien:

VICE: Warum bist du heute hier?
Laura: Weil ich an die Macht der Liebe glaube und für den Frieden bin. Die Schwächsten sind momentan die Palästinenser, deswegen bin ich hier um meine Solidität mit Gaza zu zeigen.

Findest du es nicht etwas provokant mit der Kuffiya auf dem Kopf zu einer israelischen Demo zu gehen?
Das habe ich auch schon gedacht, aber weil ich für den Frieden bin, spielt das keine Rolle. Ich sage nicht, dass Palästina gut ist und Israel schlecht, ich sage nur, dass es nicht richtig ist, wenn hunderte Zivilisten und Kinder getötet werden.

Noa, Israel:

VICE: Wo kommst du her?
Noa: Aus Israel, aber ich lebe seit eineinhalb Jahren hier. Ich habe das Land verlassen, weil ich lange versucht habe etwas zu verändern und schließlich eingesehen habe, dass ich nichts ändern kann.

Die Demo wurde von Israelis organisiert, war das für dich ausschlaggebend hier herzukommen?
Ja, ich fühle mich dadurch sicherer. Ich war letzte Woche bei einer der palästinensischen Demos, aber da habe ich mich unwohl gefühlt. Erstens weil „Allahu Akbar" gerufen wurde, und zweitens weil ich keine Palästinenserin bin. Ich hatte das Problem auch schon in Israel, wenn ich mit Palästinensern zusammen protestiert habe und mir gegenüber standen israelische Soldaten, mit denen ich zur Schule gegangen bin. Das hat mich völlig durcheinander gebracht.

Hast du Angst vor Antisemitismus hier in Deutschland?
Wir wurden dazu erzogen, immer ängstlich zu sein, deshalb versuche ich so gut es geht, keine Angst vor Antisemitismus zu haben. Ich habe erst Angst, wenn jemand mich bedroht.

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Was steht auf dem Schild?
Jüdische und arabische Frauen weigern sich, Feinde zu sein.

L. Canaan, Berlin 

VICE: Sie kommen ursprünglich aus Gaza?
L. Canaan: Nein, aus Akko in Nordpalästina, also aus dem Gebiet, das sich heute Israel nennt. Meine Familie wurde vertrieben und ist in den Libanon geflüchtet, ich wohne seit 22 Jahren in Deutschland.

Was bedeutet es für sie zu einer israelischen Demo zu gehen?
Zu erst wollte ich nicht recht, aber dann wollte ich  diese Mauer durchbrechen. Einer von uns muss den ersten Schritt tun, damit wir in der Zukunft etwas erreichen. Ich glaube, dass dieses Land hier [sie hält eine Karte von Israel und den palästinensischen Gebieten hoch] nur ein Staat ist, ein Land für Juden, Christen und Muslime. Wir müssen die Freiheit bekommen, dass jeder dort leben kann und dann entscheidet wie. Ich glaube es ist genug Platz für alle in Palästina.