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Wir sollten „Street Harassment“ nicht stumm über uns ergehen lassen

Warum Frauen ihre Stimme einsetzen müssen, anstatt die alltäglichen Annäherungsversuche über sich ergehen zu lassen.

Gestern ging ein Video durchs Netz, das eine junge Frau zeigt, die unauffällig gekleidet insgesamt zehn Stunden lang durch die Straßen von New York spaziert. In den zehn Stunden wurde sie insgesamt 108 Mal von Männern angesprochen—einer der Männer ging fünf Minuten lang neben ihr her und war somit ziemlich hartnäckig. Belästigung auf offener Straße und der von allen Medien als Spießrutenlauf betitelte Spaziergang der 24-jährigen Shoshana Roberts schockieren die Welt—oder zumindest das Internet. Wo Belästigung anfängt und aufhört, sei dahingestellt—ob ein „Have a nice Day“ darunter fällt, auch.

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Sexuelle Belästigung im Alltag ist ein riesiges Problem. Ich kann nicht sagen, wie oft ich angesprochen werde, wenn ich alleine unterwegs bin—wahrscheinlich viel zu oft. Sicherlich nicht 108 Mal an einem Tag, aber in den Wiener Öffis und in den Abendstunden ist diese Art der Belästigung—von dem Verein Hollaback!, der das Video initiiert hat, als Street Harassment bezeichnet—durchaus präsent. Ja, auch im unkommunikativen Wien, wo jeder für sich lebt und mit typisch grantigem Tunnelblick durch die Straßen geht.

Was in dem Aufruhr um das Video jedoch völlig untergeht und erfolgreich ignoriert wird, ist die Tatsache, dass die Situation, in der die Frau durch New York geht und alle möglichen Sprüche von Männern über sich ergehen lässt, nicht real ist. Was sie nämlich wortwörtlich macht, ist, die Bemerkungen über sich ergehen lassen, ohne eine Miene zu verziehen, geschweige denn etwas zu sagen. Wenn ich in der Situation wäre, in der ein Mann am hellichten Tag auf offener Straße neben mir hergeht und mich fragt, „You don’t wanna talk?“ dann sage ich ganz klar „Nein“ und gehe nicht noch länger mit ihm an meiner Seite weiter. Wenn man sich belästigt fühlt, muss man das auch sagen. Auch wenn es anfangs viel Mut und Selbstvertrauen kosten kann—dieses Selbstvertrauen ist wichtig und man sollte es sich aneignen.

Mittlerweile habe ich gelernt, den Typen, die mich im Bus fragen, ob ich mit ihnen Kaffee trinken gehe oder mir Abends nachpfeifen, Kontra zu geben. Je nach Situation heiße ich Lisa oder Jenny und wenn ich keine Lust habe, mit jemandem zu reden, gebe ich eben vor, dass ich gerade auf dem Weg zu meinem nichtexistenten Freund bin—und wechsle dann den Platz oder gehe weg. Vielleicht ist die Tatsache, dass es fast immer hilft, einen Freund zu erfinden, Teil eines größeren Problems, aber womit sie in so einer Situation am wenigsten rechnen, ist eine klare Ansage. Natürlich, in solchen Situationen ist einem immer unwohl und mit Humor kann man so etwas kaum nehmen, weil man nie weiß, ob die etwaige Ansage bei dem Mann auch ankommt, ohne dass sein offensichtlich zu großes männliches Ego verletzt wird und er dementsprechend handelt. Wenn es uns Frauen jedoch ein Anliegen ist, von wildfremden Männern nicht mehr als Objekt gesehen zu werden, das sie jederzeit auf seine Verfügbarkeit prüfen und schlüpfrig ansprechen können, sollten wir das nicht nur durch solche Videos—die durchaus wichtig sind, weil sie solche Themen in die Diskussion bringen—machen, sondern unser Verhalten und Auftreten im Alltag danach richten.

Vielleicht ist Shoshanas Schweigen essenzieller Bestandteil des Video-Experiments, weil es die Hartnäckigkeit mancher Männer verdeutlicht, die trotz ihres Schweigens nicht aufgeben. Aber genau das ist der springende Punkt—Aktionen gegen Belästigung von Frauen wollen immer darauf aufmerksam machen, dass Frauen stark sind, keine Objekte sein wollen und eine Stimme haben. Und eben diese Stimme sollte jede von uns einsetzen, wenn sie sich belästigt fühlt.

Folgt Verena auf Twitter: @verenabgnr