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Sex

Was man über die Sexindustrie lernt, wenn man Pornobanner gestaltet

Adi erzählt uns, warum Rechtschreibfehler heiß sind und wer die Fake-Nachrichten einsamer Single-Frauen wirklich schreibt.

Jeder muss irgendwie Geld verdienen. Manche Menschen tun das, indem sie auffällige Gifs erstellen, auf denen junge Frauen dankbar mit Sperma eingedeckt werden, und diese dann mit Sätzen wie „Stop jerking off" und „Horny bitches in your area" versehen. Einer von diesen Menschen ist eine junge, jüdische Frau: eine Illustratorin und Grafikdesignerin, die noch nicht einmal wusste, was Amateur bedeutete, als sie ins Pornobanner-Business einstieg.

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Adi Aviram machte in Berlin Urlaub und brauchte dringend einen Job, für den sie kein Deutsch lernen musste. Es gab nicht allzu viel Auswahl und Adis Freund, der im Bereich Online-Handel arbeitet, vermittelte ihr den Job als Pornobanner-Designerin. Wenigstens konnte sie hier das anwenden, was sie an der Uni gelernt hatte. VICE unterhielt sich mit Adi über die anfängliche Aufregung und die deprimierende Realität, die eintritt, wenn man den ganzen Tag nur „Amateur"-Sex photoshoppt.

VICE: Was hast du gemacht, bevor du mit dem Gestalten von Pornobannern anfingst?
Adi Aviram: Ich habe visuelle Kommunikation studiert. Ich bin Grafikdesignerin. Als ich also anfing, die Banner zu machen, machte ich sie zu gut. Die Mädchen waren zu hübsch und die Schriftart war Helvetica! Sie unterschieden sich eigentlich nicht groß von American-Apparel-Werbungen. Andererseits ist die jetzt auch nicht weit von Pornographie entfernt.

Warum sehen Pornobanner eigentlich immer so billig und stümperhaft aus?
Als ich am Anfang meine Banner rausschickte, sagte der Ad-Trafficker zu mir: „Die sind zu schön. Das Bild muss aussehen, als wäre es zu Hause gemacht worden." Er gab mir dieses neue, großartige Stichwort mit auf den Weg: „Amateur." Dieses Wort eröffnete mir eine ganz neue Welt voller Bildmaterial, das ich verwenden konnte! Ich hatte ja keine Ahnung. Als ich anfing, kannte ich die ganzen unterschiedlichen Genres ja nicht.

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Du kanntest also noch nicht einmal die Suchbegriffe, für die sie Illustrationen anforderten?
Ja, die haben mir eine Excel-Tabelle in allen möglichen Sprachen geschickt, in der Begriffe wie „Ugly needs cock" standen. Du weißt schon, unglaublich tolles, tiefgründiges Zeug wie „Asian hot pussy". Und ich sollte dann ein Bild zu diesem Begriff erschaffen. Heute ist es BDSM, morgen MILFs. Mein Chef sagte mal zu mir: „Halte es so amateurhaft, wie du nur kannst." Es muss alles nur richtig hässlich aussehen, damit die Leute daran glauben, dass es echt ist und sich wirklich um eine Amateurseite handelt—dann klicken sie auch mehr!

Ich musste es in viele verschiedene Sprachen übersetzten—auch Russisch. Ich kann aber überhaupt kein Russisch! Er sagte zu mir: „Mach's einfach mit Google Translate!" Ich antwortete: „Aber das passt dann doch nicht." Daraufhin meinte er: „Nein, es soll auch nicht passen. Dann klicken die Leute noch mehr darauf." Das Amateurdesign wird aber nicht nur für Pornoseiten verwendet, man benutzt es auch für Datingseiten und Chatfenster. Wenn du ein Selfie siehst, dann vertraust du eher diesem als einem Bild, das in einem Studio aufgenommen wurde. Das erweckt den Anschein, dass das Mädchen wirklich existiert.

Könntest du theoretisch jedes Bild für einen Pornobanner verwenden?
Ja! Ich habe sogar ein Bild von mir auf einer Website gefunden. Ich war bei der Armee und irgendjemand hat mir gesagt, ich solle mal nach „Hot Israeli soldier" googlen. Das habe ich dann auch gemacht und es war einfach ein super unvorteilhaftes Bild: Ich, wie ich müde mit FlipFlops neben meiner Waschtasche mit einem Maschinengewehr in den Händen auf dem Boden sitze.

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Das Foto war auf dieser amerikanischen „Jewish hot soldiers"-Website zu sehen. Das ist jetzt keine Pornoseite, aber trotzdem ziemlich gruselig. Das ist ziemlich verstörend, weil es jetzt auch bei Google ist, weißt du? Wenn etwas dort ist, dann hat es kein Copyright. Es ist eine ziemliche Grauzone. Ich könnte deine Facebook-Bilder verwenden—wie diese Typen, die Fotos von ihren Exfreundinnen hochladen.

War es schwer, sich daran zu gewöhnen, sein Geld nur mit Bannern für Pornoseiten zu verdienen?
Total. Es hat mir eine unbekannte, neue Welt eröffnet. Mir war zuvor gar nicht bewusst, wie viel erniedrigendem Material Männer durch Pornos ausgesetzt sind. Wenn du mit einem Typen intim wirst, dann denkst du dir manchmal: „Warum macht er das?" Hast du dich jemals über Zeug gewundert, das sie machen? Es kommt alles von den Pornos. Es ist alles so fake—auch das Zeug, das zu Hause gedreht wird.

Kannst du dich an irgendwelche Banner erinnern, die du schockierend fandest?
Manchmal musste ich auch Gifs erstellen und deswegen Filme anschauen. Vor allem der BDSM-Kram war für mich eine Überraschung. Wir denken, dass das eigentlich ganz scharf klingt, also gefesselt werden und so weiter. Das Ganze ist aber schrecklich! Die Frau ist total unsexy in Seile eingewickelt. Sie hat am ganzen Körper lila und rote Stellen, weil das Blut nicht richtig fließen kann. So viele Leute sind dem ausgesetzt. Das macht einen ganz traurig. Ich war eine ganze Zeit lang richtig mies drauf, weil ich daran dachte, dass sich manche Leute so was täglich anschauen.

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Musst du manchmal auch lustige Banner gestalten?
Ich weiß nicht. Am Anfang fand ich es noch ganz witzig, aber inzwischen finde ich es schwer, über die lustigen Aspekte zu reden, denn nach einer Weile zieht es einen ziemlich runter. Ich habe schon Gifs von einem nackten Schneewittchen gemacht—mit den Cartoons kann ich ganz gut umgehen.

Woher weißt du, ob deine Banner erfolgreich laufen und viele Klicks generieren?
Darum kümmert sich mein Ad-Trafficker. Ich gestalte sie einfach nur schön und lass Andere den Business-Kram machen. Ich arbeite eng mit dem Trafficker zusammen, der gibt mir dann Feedback. Im Grunde sind das nur Excel-Tabellen—die schaust du dir an und lernst dabei, wie du die Banner gestalten kannst, damit sie noch besser laufen.

Was macht einen Banner zu einem erfolgreichen Banner?
Kennst du die Schriftart „Impact"? Die wird auch bei Memes verwendet. Außerdem sollen Rechtschreibfehler eingebaut werden. Es soll jetzt nicht so sehr selbstgemacht aussehen—das Bild muss einfach nur etwas Komisches an sich haben, damit man es sich ansieht und dann draufklickt. Es muss nur ins Auge stechen. Das ist ganz simple Psychologie. Wir verwenden auch total einfache, dumme Sätze wie „Fuck the neighborhood sluts" oder „Hot MILFs". MILF ist toll! Starke, unabhängige Frauen—das Genre gefällt mir viel besser.

Wir haben auch so gestelltes Facebook-Messenger-Zeug gemacht. Mal als Beispiel: Giselle, 19, sagt: „Mir ist langweilig, willst du mir neue Sachen im Bett zeigen?" Sich die Chatnamen auszudenken, zum Beispiel „pussycat19", das macht Spaß! Aber sie haben das, was ich ins Chatfenster geschrieben habe, immer geändert! Sie sagten dann: „Du sollst hier nicht kreativ werden, bitte halte dich an die Vorgaben."

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Du musstest also alles genau nach Anleitung machen?
Das ist eigentlich ziemlich witzig. Ich bin eine Frau, also dachte ich mir, dass ich die Texte im Messenger-Banner schreiben darf. Sie sagten aber: „Nein, die Leute werden es dann für einen Fake halten." Sie haben meine Sachen deshalb mit ihren Kreationen ersetzt und sie haben alles immer mit Smileys und total süß geschrieben. Wenn sich ein Typ also denkt, dass Pussycat19 ja ziemlich scharf klingt und draufklickt, dann ist das immer das Werk von einem Mann. Es schreiben quasi Männer für Männer, die Frauen sind dabei nur die Fassade und haben nichts zu sagen. Das hat alles einen sehr homoerotischen Touch.

Wissen deine Eltern von deinem Job?
Ich erzählte ihnen, dass ich Banner mache. Als sie mich in Deutschland besucht haben, musste ich arbeiten. Sie fragten: „Machst du das für Pornos?" Ich sagte dann: „Nein nein, das ist für Casinos." Ich würde ihnen nie die ganze Wahrheit erzählen. Wir sind eine jüdischen Familie, wir reden über gar nichts.

Du bist jetzt wieder zurück in Tel Aviv. Was machst du dort?
Ich arbeite bei einem Nachrichtensender. Hier herrscht gerade Krieg und deshalb schreibe ich die Untertitel für die Nachrichten.

Du untertitelst den Krieg?
Ja.

Es hat den Anschein, als seien alle deine Jobs ziemlich deprimierend.
Ja, das stimmt. Ich bin eigentlich Illustratorin, aber in solchen Zeiten kann man damit kein Geld verdienen. Die Leute zahlen nicht für Kunst, die Leute zahlen für Sex und Krieg.

Der Name der Autorin wurde gelöscht, um ihre Anonymität zu sichern.